Nachhaltig handeln

Über 70 Jahre Festivalgeschichte bedeuten auch einen Prozess der immerwährenden Veränderung. Von den Anfängen in einer vom Krieg gezeichneten Stadt über die Euphorie eines wiedervereinigten Berlins bis hin zu den drängendsten Fragen unserer Zeit. Als Teil einer Welt im Fluss, die sich beständig neuen Herausforderungen stellen muss, befindet sich das Festival nun schon seit vielen Jahren in einer weiteren Phase der Transformation. Jahr um Jahr baut es seine Bestrebungen hin zu nachhaltigem Denken und Handeln konsequent aus – in sozialer, ökologischer und ökonomischer Perspektive.

Das Wissen um die schwindenden Ressourcen des Planeten, die Bedeutung eines inklusiven und respektvollen Miteinanders und die Wichtigkeit kultureller Bildung und Netzwerke für zukünftige Generationen stehen im Zentrum eines achtsamen Bewusstseins, das sich quer durch den Berlinale-Kosmos zieht. Das Fundament dieses beständigen Wandels bilden die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals/SDGs) der Vereinten Nationen, die Dank der Unterstützung von Engagement Global anlässlich der 70. Berlinale dem Publikum mit dem Projekt #17Ziele am Potsdamer Platz und im Berlinale Social Bus präsentiert werden konnten. Ebenfalls seit 2020 stärkt der European Film Market mit seinem - kürzlich aktualisierten – Sustainability Manifesto Nachhaltigkeit und macht sie zugleich über Veranstaltungen und im EFM-Podcast sicht- und hörbar.

Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian 2020 auf dem „grünen“ Roten Teppich

Umdenken in der Klimakrise

Die Rufe der Fotograf*innen in der Berliner Februarnacht, die Stars, die vor dem Berlinale Palast über den Roten Teppich laufen, die aufgeregte Hoffnung der Fans auf ein Autogramm: Selbst das prägendste, prominenteste Bild für die Berlinale ist Teil des Wandels hin zu mehr Nachhaltigkeit – auch wenn dies nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Dank der Unterstützung von Object Carpet ist der Rote Teppich seit 2019 ein zirkulärer „grüner“ Teppich, der aus nur zwei Materialien besteht und so komplett recyclebar ist. Die Beleuchtung am Berlinale Palast wurde 2020 auf LED-Lampen umgestellt, was effektvollen Auftritten keinen Abbruch tat. Wie der „grüne“ Rote Teppich bestehen auch viele der Merchandise-Artikel des Festivals aus recyceltem Material. Sie werden vorwiegend in Europa produziert, um lange Lieferketten zu vermeiden. Darüber hinaus werden alte Berlinale-Banner und weitere Materialien zu neuen Upcycling-Produkten umgearbeitet.

Nachdem die Grenzen des Wachstums längst überschritten sind, ist Reduktion und Abfallvermeidung oberstes Gebot. Deshalb wurden schon 2010 die für Promotionmaterial angebotenen Pressefächer abgeschafft. Seit 2016 wurden sukzessive zahlreiche Printprodukte zugunsten einer auf Recyclingpapier gedruckten Gesamtpublikation eingespart, die seit 2022 klimaneutral hergestellt wird: das Berlinale-Programmheft. Einweglösungen verschwanden Schritt für Schritt, sei es in Sachen Geschirr oder Kaffeebechern.

Die Evolution des Festivals im Sinne eines umweltbewussten Handelns lässt sich vor allem an einer der grundlegendsten Dimensionen menschlicher Existenz ablesen: der Ernährung. Seit 2006 wurde das Speisenangebot kontinuierlich und seit 2020 in Gänze auf vegetarisches Catering umgestellt, um den globalen Verheerungen der Massentierhaltung und Fleischproduktion entgegenzuwirken. Bereits seit 2014 bietet die Berlinale in Partnerschaft mit Lemonaid und ChariTea ausschließlich fair produzierte Softdrinks an.

Grundlegend für eine grünere Zukunft ist zudem die Frage der Mobilität – und auch hier setzt die Berlinale Impulse. Seit 2012 ermöglicht das Veranstaltungsticket in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn eine kostengünstige und umweltfreundliche Anreise zum Festival. Zwei Jahre später wurden sämtliche Fahrdienste mit Elektroautos ausgestattet und erstmals zur 73. Berlinale wurden dank Uber die VIP-Shuttles mit nachhaltiger Wasserstofftechnologie ausgerüstet. Zudem werden seit 2020 CO2-intensive Reisen mit lokalen MoorFutures-Projekten kompensiert.

Wie fundamental die Frage nach der Zukunft der Energie ist, zeigt nicht zuletzt die aktuelle Krise. Die Berlinale machte sich bereits 2010 auf den Weg zu einem energiesparenden Handeln und ließ durch den Öko-Institut e.V. ihren CO2-Fußabdruck ermitteln – eine Initialzündung, die viele Maßnahmen nach sich zog. Etwa die Umstellung auf 100% Ökostrom 2011, so dass das Festival 2013 zum ersten Mal – und seitdem jedes Jahr - das EMAS-Umweltmanagement-Gütesiegel der Europäischen Union für seinen ganzjährigen Bürobetrieb erhielt. Mit dem Ziel, Maßnahmen hinsichtlich des Klimaschutzes und der Ressourcenschonung zu untermauern, wurde im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative in diesem Jahr erneut zusammen mit dem Öko-Institut e.V. eine Neuauflage der Klimabilanzierung beschlossen.

Intensiv begleitet und vorangetrieben wird der ökologische Wandel von einer Klima-AG, die sich 2015 gegründet und sich dem Thema verschrieben hat.

Bei den TEDDY AWARDS 2012

Soziale Nachhaltigkeit verankern

Teilhabe, Offenheit und Diskursfreude gehören zu den herausstechenden Merkmalen des Festivals. Als Teil einer global vernetzten und agierenden Filmgemeinschaft engagiert sich die Berlinale für Diversität und den Abbau von Barrieren, für Respekt, Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion. Das vielfältige Programm bietet die Chance zu einer Reise um die Welt, die Möglichkeit „fremde“ Kulturen, Milieus, Lebensweisen, Einstellungen und Sichtweisen kennenzulernen – und somit Vorurteile und Grenzen abzubauen. Immer wieder legen die präsentierten Werke ihren Finger in die Wunde sozialer Ungleichheit. Festivalmacher*innen wie Besucher*innen sind Jahr um Jahr aufgefordert ihre „Normalitäten“, die oft nur auf eingeübten Gewohnheiten beruhen, zu hinterfragen, gewohnte Denkweisen zu reflektieren und im Austausch mit Künstler*innen aus aller Welt Barrieren und Mauern niederzureißen. In diesem Sinne unterzeichnete das Festival 2019 auch die „Berliner Erklärung der VIELEN“, die gegen rechten Populismus und für Kunstfreiheit eintritt.

Die Sichtbarmachung des Marginalisierten, Unterdrückten und das Pochen auf die Gleichberechtigung all jener, die die Gesellschaft versucht auszuschließen, hat eine lange Tradition bei der Berlinale. Die Sektion Panorama gilt als Vorkämpferin des schwul-lesbischen Kinos, initiierte schon 1987 mit dem TEDDY AWARD den ersten queeren Filmpreis überhaupt und hat nicht unerheblich dazu beigetragen, dass das queere Kino heute einen integralen Bestandteil des weltweiten Filmschaffens darstellt.

Der World Cinema Fund unterstützt seit 2004 das Schaffen in filminfrastrukturell schwachen Regionen und rückt so die Peripherie ins Zentrum. Eine 2018 beim European Film Market (EFM) gestartete Diversity & Inclusion-Initiative, das jahrzehntelange Engagement bei Berlinale Talents für Diversität, globale Vernetzung und respektvollen Teamspirit – all diese Bausteine von Berlinale Pro* tragen zu einer der Leitideen des Festivals bei: Ein Ort zu sein, an dem alle willkommen sind und teilhaben können. So wird auch das öffentliche Programm der Berlinale mit Services wie Audiodeskriptionen und Gebärdensprache für Menschen mit Behinderungen kontinuierlich erweitert. Das Festival arbeitet stetig am Abbau von Barrieren und daran, inklusivere Angebote zu entwickeln.

Ziel der Berlinale ist es, für alle Festivalteilnehmer*innen einen sicheren Raum zu schaffen, in dem ein respektvolles, achtsames und gleichberechtigtes Miteinander entsteht. Dazu definiert der Verhaltenskodex Antidiskriminierung, der auf dem Grundgesetz (GG) und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) basiert, die Regeln des sozialen Miteinanders. Zusätzlich steht ein Awareness-Team von ausgebildeten Antidiskriminierungsberater*innen während des Festivalzeitraums bereit, um Meldungen von Verletzungen des Verhaltenskodex entgegenzunehmen und von Diskriminierung Betroffene zu beraten. Im digitalen Raum hingegen sorgt die Social-Media-Netiquette für die Regeln einer sachbezogenen und respektvollen Kommunikation.

Bei Generation im Haus der Kulturen der Welt 2018

Lernen und Netzwerke bilden

Bildung ist eine der Schlüsselkompetenzen auf dem Weg in eine sowohl ökologisch, ökonomisch als auch sozial nachhaltige Zukunft und deshalb einer der Leitsterne des Festivals. Besonders in der Kinder-und Jugendsektion Generation und bei den Berlinale Talents wird dies spürbar.

Generation macht in seinem Programm die unterschiedlichsten Lebenswelten und Perspektiven junger Menschen weltweit erfahrbar und bietet mit Altersempfehlungen Kindern und Jugendlichen Zugang zum Festival. Die Sektion fördert kulturelle Teilhabe und Mitbestimmung durch deutsche Liveeinsprache für die Jüngsten, deutsche Untertitel, Filmfragebögen sowie die Kinder- und Jugendjury, die über die Vergabe der Gläsernen Bären in den Wettbewerben Kplus und 14plus entscheiden. Mit dem Berlinale-Schulprojekt in Kooperation mit VISION KINO Netzwerk für Film und Medienpädagogik gGmbH wird seit 2006 die Einbindung von Generation-Filmen in den Schulunterricht aktiv unterstützt. Die Ergebnisse werden Jahr für Jahr veröffentlicht und geben nachhaltige Impulse zur filmpädagogischen Arbeit im Schulunterricht und darüber hinaus.

Bildung und persönliche Weiterentwicklung sind nicht zuletzt Fragen des Austauschs und des Voneinander-Lernens. Deshalb vernetzt Berlinale Talents jährlich mehr als 200 Filmemacher*innen aus aller Welt. Die so entstandene Alumni-Community ist mittlerweile mit fast 10.000 Mitgliedern, die aus den unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Bereichen und aus über 130 Ländern kommen, eine der größten der Welt. Seit 2020 vergibt die Talentinitiative im Rahmen von Talents Footprints und des Mastercard Enablement Programme Fellowships: Mentoren und Coaches helfen den ausgezeichneten Talenten und Alumni dabei, ihre filmbezogenen sozialen Initiativen, kulturellen Plattformen und selbstfinanzierten Netzwerke weiterzuentwickeln. Denn diese sollen einen nachhaltigen Einfluss auf das lokale Umfeld, die Qualität der Bildung und bessere Arbeitsbedingungen haben. Mit dem Kompagnon Fellowship und den Berlin Film Residencies trägt Berlinale Talents des Weiteren dazu bei, einen neuen und ganzheitlicheren Ansatz in der Talent- und Karriereentwicklung zu etablieren, der nicht nur ein aktuelles Projekt, sondern auch die sozialen Bedürfnisse aller Beteiligten sorgfältig in Betracht zieht.