2025 | Historische Berlinale-Debüts

Systemsprenger - Nora Fingscheidt 2019

Szenen aus Systemsprenger

Für den jungen deutschen Film erweist sich die Berlinale oftmals als Sprungbrett ins Rampenlicht der internationalen Filmwelt. Außergewöhnliche „Sprungkräfte“ entladen sich auch 2019 beim Langfilmdebüt Systemsprenger von Nora Fingscheidt, das im Wettbewerb Presse und Publikum gleichermaßen begeistert. Bei der Preisverleihung im Berlinale Palast überreicht Sandra Hüller, in jenem Jahr Mitglied der Internationalen Jury, der Regisseurin den Silbernen Bären für neue Perspektiven in der Filmkunst. Und dies ist nur der Auftakt für den Triumphzug des Filmes, der mit weiteren 60 Auszeichnungen und Nominierungen sowie acht Lolas beim Deutschen Filmpreis 2020 bedacht wird. Die beeindruckende Schauspielleistung der jungen Helena Zengel hat Folgen: 2020 ist sie an der Seite von Tom Hanks in Paul Greengrass‘ News of the World zu sehen.

Systemsprenger erzählt von der neunjährigen Benni (Helena Zengel), die sich voller Temperament und Energie allen Regeln und Strukturen verweigert – und Schritt für Schritt durch das Netz deutscher Kinder- und Jugendhilfen fällt. Sie gilt als „Systemsprenger“. In keiner Pflegefamilie, Wohngruppe oder Sonderschule findet sie Schutz. Dabei möchte Benni wieder bei ihrer überforderten Mutter leben, bei der sie sich Liebe und Geborgenheit erhofft. Erst als sie auf Anti-Gewalttrainer Micha (Albrecht Schuch) trifft, keimt Hoffnung auf, die Mauer aus Wut und negativen Erlebnissen endlich durchbrechen zu können.

Nora Fingscheidt bei der Preisverleihung 2019 auf der Bühne des Berlinale Palastes

Im Dokumentarfilm geschult und mit psychologischem Gespür, entwickelt Nora Fingscheidt den komplexen Stoff sehr sorgfältig und recherchiert dafür fünf Jahre lang. Mit ihrer damals neunjährigen Hauptdarstellerin probt sie sechs Monate, um anschließend weitere fünf Monate lang zu drehen. Authentisch bannt Systemsprenger schmerzhafte Themen auf die Leinwand, Fingscheidt begegnet ihren verletzten und verletzlichen Figuren dabei mit großer Empathie und Verantwortung.

Der weltweite Erfolg von Systemsprenger treibt Nora Fingscheidts berufliche Entwicklung schlagartig voran. Bereits 2021 realisiert sie ihren ersten englischsprachigen Spielfilm The Unforgivable. In der Hauptrolle spielt Sandra Bullock eine verurteilte Polizistenmörderin, die nach ihrer Freilassung Kontakt zu ihrer kleinen Schwester aufnehmen möchte. 2024 folgt mit The Outrun eine weitere internationale Produktion. Saoirse Ronan spielt die Biologin Rona, die nach zerstörerischen Alkoholexzessen London verlässt und in ihre Heimat auf die schottischen Orkney-Inseln zurückkehrt. Auf dem harten Weg in die nüchterne Welt hilft ihr die Liebe zur rauen Natur und Tierwelt ihrer Heimat.

Mit Hauptdarstellerin Saoirse Ronan bei der Premiere von The Outrun am Zoo Palast

Nora Fingscheidts Name lässt bereits vor Systemsprenger aufhorchen, als sie 2018 mit ihrer dokumentarischen Arbeit Ohne diese Welt zu Gast in der ehemalige Berlinale-Sektion Perspektive Deutsches Kino war. Ihr Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg beobachtet das Leben einer in Argentinien lebenden deutschstämmigen Mennonitengemeinschaft, die noch im 18. Jahrhundert verhaftet zu sein scheint. Für das bis dahin noch unverfilmte Drehbuch zu Systemsprenger erhält Fingscheidt bereits 2017 den von Berlinale Talents und der Perspektive Deutsches Kino gemeinsam vergebenen Kompagnon-Förderpreis. Zuletzt kehrt die Regisseurin 2024 mit The Outrun in die Berlinale-Sektion Panorama zurück.