2008 | Generation

Versöhnung als Schlüssel

Auch 2008 präsentierte sich Generation selbstbewusst mit einem internationalen Programm, das junge Zuschauer ernst nahm, ohne dabei das Vergnügen aus den Augen zu verlieren. Wie schon in früheren Jahren fiel dabei die abwechslungsreiche Zusammenstellung des Filmprogramms auf, die jungen und alten Zuschauern einen erfrischenden und anregenden Eindruck vom aktuellen Filmschaffen bescherte. Thomas Hailer, Maryanne Redpath und Florian Weghorn über die Genrevorlieben ihres Publikums, die Motivationen von Filmemachern, mit jungen Darstellern zu drehen, und die befreiende Wirkung versöhnlicher Augenblicke im Kino.

Kung Fu Kun von Issei Oda, Japan

SK: Letztes Jahr hattet Ihr passend zum neuen Namen viele Filme zum Thema „Generationenwechsel“ im Programm. Gibt es 2008 wieder einen thematischen Schwerpunkt oder ein bestimmtes Genre, das besonders präsent ist?

TH: Seit 2-3 Jahren stellen wir erfreut fest, dass vermehrt Genrefilme für junges Publikum gemacht werden. Mit Dek hor sind wir letztes Jahr das Wagnis eingegangen, einen Geisterfilm zu programmieren, der dann auch prompt den Gläsernen Bären gewonnen hat. Das hat uns zwar Kritik aus der bewahrpädagogischen Ecke eingetragen, aber uns in der Vermutung, dass unser Publikum diese Filme mag und auch lesen kann, bestätigt. In diesem Sinne geht es 2008 mit starken Genrefilmen weiter. Mit der Comic-Adaption Kung Fu Kun haben wir zum Beispiel einen schrägen japanischen Kung-Fu Film, der garantiert dem Publikum Spaß macht, aber Diskussionen anregen wird.

Ohne die Grenzen dabei zu überschreiten?

MR: Es geht nicht ums Überschreiten. Wir wollen vielmehr zum Nachdenken und zur Reflektion über diese Grenzen anregen. Meiner Ansicht nach läuft nichts weiter auseinander als die Medienrealität von Kindern und das Wunschdenken ihrer Erziehungsberechtigten.

Jannik Hastrups und Flemming Quist Møllers Cykelmyggen og Dansemyggen

Mit dem dänischen Filmemacher Jannik Hastrup und seinem Film Cykelmyggen og Dansemyggen habt ihr einen alten Bekannten Eurer Sektion zu Gast. Ist die Entscheidung, eine Mischung aus bekannten, etablierten Filmemachern und eher neuen, unbekannten zu programmieren, bewusst getroffen?

FW: Wir versuchen ja immer nur, die besten Filme auszuwählen. Mit Jannik Hastrup verbindet unsere Sektion aber wirklich eine sehr lange Freundschaft und Zusammenarbeit. Vielleicht wäre es auch einmal dran, eine Arbeit von Jannik abzulehnen, aber dann müsste er es erst einmal schaffen, einen Film zu machen, den wir nicht mögen. Er verfolgt seinen ganz eigenen Stil, dem er treu bleibt, indem er ihn stetig weiterentwickelt. Der Moskitofilm von Hastrup und seinem Co-Regisseur Flemming Quist-Møller ist ein cineastischer Glücksfall für 5-6 Jährige.

Organisches Miteinander

In der Zusammenschau der ausgewählten Filme für die Berlinale 2008 kommen die Diversität und der Kontrastreichtum Eures Programms sehr deutlich zum Ausdruck. Auf der einen Seite ein actionreicher und humorvoller Zeichentrickfilm, auf der anderen ein Film wie Buda Az Sharm Foru Rikht, der von der 19jährigen Iranerin Hanna Makhmalbaf in Afgahnistan gedreht wurde. Ohne den Film zu kennen, hört sich letzterer nach einer politisch brisanten Arbeit an.

TH: Ja, auf jeden Fall. Makhmalbafs Debütfilm handelt von einem 6jährigen Mädchen, das zur Schule gehen möchte. Dieses klassische iranische Muster, hat man schon oft gesehen, diesmal jedoch in einer etwas anderen, sehr aktuellen Variante.

Genau dieses vielfältige Nebeneinander pflegt unsere Sektion ja schon seit vielen Jahren und das macht für viele auch den Reiz an unserem Programm aus. Das ist bei Kindern nicht anders als bei Erwachsenen. Ab einem bestimmten Punkt der Erschöpfung braucht jeder mal was Unterhaltsames. Aber wenn wir davon genug haben, wollen wir im Kino natürlich auch wieder Anregungen bekommen und etwas über die Welt erfahren, was wir vorher - zumindest in dieser Art - noch nicht wussten.

Mit Hanna Makhmalbaf habt ihr auch eine Regisseurin aus der iranischen Filmemacher-Familie Makhmalbaf im Programm. Besteht diese Verbindung auch schon länger?

TH: Es stimmt, dass unsere Sektion mit dem iranischen Kino eine gewisse Verbindung eint, die bereits über viele Jahre besteht. Majid Majidi, dieses Jahr mit einem Film im Wettbewerb, war auch schon bei uns. Und wer Buda Az Sharm Foru Rikht von Hanna Makhmalbaf sieht, dem wird schnell klar, dass dieser Film einfach zu unserer Sektion gehört.

MR: Es freut uns natürlich, wenn wir Regisseure in dieser Form begleiten können. Natasha Arthy, die mit Mirakel ihr Debüt in der Sektion vorlegte und in der Zwischenzeit zwei weitere Filme gemacht hat, ist quasi wieder zu uns zurückgekommen und stellt mit Fighter einen wunderbaren Kandidaten für Generation 14plus. Aber damit nicht genug: Auch Shane Meadows, Niels Arden Oplev und Mischa Kamp aus dem diesjährigen Programm präsentierten schon Filme in anderen Jahren.

Chop Shop von Ramin Bahrani

Bei Generation sind junge Menschen als Zuschauer, Kritiker und in den Juries vertreten. Mit Hanna Makhmalbaf präsentiert Ihr auch eine noch sehr junge Filmemacherin. Zeichnet sich insgesamt bei den eingereichten Filmen eine Entwicklung hin zu jüngeren Filmemachern ab?

TH: Das kann man so nicht so sagen. Wir sind nicht der Nachwuchslieferant der Berlinale, nur weil wir junges Publikum haben. Eher im Gegenteil, wenn man sich die saturierten Märkte anguckt, bedeutet mit Kindern zu drehen: höherer Aufwand, höheres Risiko, höheres Budget. Das wiederum heißt für Produzenten und Geldgeber in der Regel, lieber erfahrene Regisseure dran zu lassen, auch wenn es natürlich immer wieder Ausnahmen gibt.

FW: Interessant ist oft der Findungsprozess, wie Regisseure dazu kommen, mit jungen Darstellern Filme zu drehen. Chop Shop ist ein gutes Beispiel: Der Regisseur Ramin Bahrani hatte zuerst seine Location und wusste, er will im “Iron Triangle“, einem bestimmten Viertel in der Peripherie von Queens, New York, drehen. Als er vor Ort recherchierte, ist ihm aufgefallen, wie viele Straßenkinder dort leben. Und so ist er erst über diesen Umweg darauf gekommen, seine Geschichte aus dem Blickwinkel eines Kindes zu erzählen.

Das heißt, das Spannende an den Filmen ist auch, dass sie sich auf die Lebensrealitäten der Kinder und Jugendlichen einlassen?

FW Die Filme schauen eben nicht weg, das heißt, sie richten einen bestimmten Fokus auf die Welt und beschönigen nichts.

TH Es mag banal klingen, aber das Einzige, worauf wir uns festlegen lassen und uns selbst festlegen, ist Qualität. Die Sektion Generation steht nicht für den Kinderfilm, wie ihn die Leute gerne haben: bunt, harmlos, links rein, rechts raus. Häufig werden bei uns Diskussionen angezettelt, in denen es heißt: Das ist doch gar kein Kinderfilm. Dem widersprechen wir in der Regel auch nicht. Wir glauben nur, dass wir in dieser Sektion ein ganz spezielles Publikum für diese Filme mobilisieren können.

Szene aus dem 14plus Eröffnungsfilm The Black Balloon

Das Einzige, worauf wir uns festlegen lassen, ist Qualität

Neu eingeführt wurden dieses Jahr Kurzfilme in der Sektion Generation 14plus. Hat sich das aufgedrängt, weil einfach viele passende Kurzfilme eingereicht wurden in den letzten Jahren, oder habt ihr gezielt danach gesucht?

MR: Das hat sich aufgedrängt. Die Grenze zwischen Kindheit und Jugend verläuft fließend und genauso ist es mit den Filmen. Wir mussten Jahr für Jahr Filme ablehnen - selbst bei unserer anerkannt großzügigen Auslegung vom Ende der Kindheit. Und da dieselben Argumente, die dazu geführt haben, Spielfilme für Teenager zu zeigen, natürlich auch für Kurzfilme gelten, wäre es beinahe sträflicher Leichtsinn, den ohnehin gefährdeten Kurzfilm diesem Publikum nicht nahe zu bringen.

Zeigt Ihr vornehmlich gerade solche Filme, die nicht den Weg ins reguläre Kinoprogramm finden? Wollt Ihr diesen Arbeiten zu Ihrer wohlverdienten Aufmerksamkeit verhelfen? Beispielsweise auch mit der DVD Edition von Generation?

FW: Es gibt Filme, die kommen ganz regulär ins Kino, beispielsweise My Summer of Love oder Der Räuber Hotzenplotz, Populärmusik aus Vittula oder Lotte im Dorf der Erfinder. Nichtsdestotrotz besteht natürlich ein Riesendefizit in diesem Bereich und insofern ist die DVD Edition auch eine Reaktion auf die vielen, vielen Nachfragen, die wir bekommen.

TH: Das Tolle ist, dass wir es uns erlauben können, Mainstream, der unseren Qualitätskriterien genügt, neben Filme zu platzieren, von denen wir sicher sind, dass sich in hundert Jahren kein Verleiher leisten kann, sie ins Kino zu bringen. Außerdem gibt es noch 60 bis 80 Filmfestivals, national und international, die auf der Berlinale ihre Programmierungssaison starten. Entscheidungen, die wir fällen, können also dafür sorgen, dass ein Film eine internationale Festivalkarriere anfängt und auf diese Weise seine zwei- bis dreihunderttausend Zuschauer findet.

FW: Ein gutes Beispiel ist Malaysia. Hier wurde durch die Festivalarbeit unter anderem auch in Berlin eine Menge getan, um das malaysische Kino einem größeren Weltpublikum zu eröffnen. Yasmin Ahmad, die malaysische Regisseurin des letztjährigen Gewinnerfilms Mukhsin, ist übrigens dieses Jahr in der Internationalen Jury bei Kplus.

TH: Neu zu entdecken gibt es dieses Jahr bei Generation auf jeden Fall den neuseeländischen Kurzfilm - eine echte Blüte im Verborgenen. Es scheint dort eine sehr intelligente Förderung stattzufinden, welche die richtigen Leute ermutigt, bestimmte Kapazitäten zu nutzen. Unglaubliche vier Werke in einer Vielfalt und Frische, dabei gleichzeitig in der Kultur verwurzelt, restlos begeisternd. Und die werden - da leg ich meine Hand für ins Feuer - von hier aus ihre Reise über Filmfestivals antreten.

Lässt die vermehrte Präsenz von neuseeländischen und australischen Filmen darauf schließen, dass - aus westeuropäischer Sicht - „klassische“ Kinderfilmregionen wie Skandinavien von anderen abgelöst werden?

FW: Nein, sie werden ergänzt. Es gibt beispielsweise immer noch einen ganz starken russischen Kurzfilm für Kinder, der bestimmte Traditionen pflegt und gerade deswegen sehr attraktiv ist. Die meisten Gebiete mit einer ausgeprägten Kinder- und Jugendfilmtradition bleiben bestehen und gewinnen eher noch dadurch, dass sie nicht mehr die einzigen auf dem Markt sind.

War Child von Christian Karim Chrobog

Gibt es neben den Kurzfilmen bei 14plus weitere formale Neuheiten in diesem Jahr?

MR: Neu sind zwei technische Änderungen. Bisher haben wir alle Filme auf 35mm gezeigt, in 14plus im Original mit englischen Untertiteln, in Kplus im Original mit englischen Untertiteln und deutscher Einsprache. In diesem Jahr zeigen wir zum allerersten Mal auch digitale Formate. Außerdem werden zwei Filme in Kplus, Chop Shop und Hey Hey it's Esther Blueburger, die ab zwölf und 13 Jahren empfohlen sind, im Original mit deutschen Untertiteln gezeigt. Wir wollen damit eine Brücke zu 14plus schlagen, wo englische Untertitel zum Festivalalltag gehören.

Werden auch Dokumentarfilme eine Rolle im Programm spielen?

TH: Ja, wir zeigen zum allerersten Mal zwei Dokumentarfilme im Rahmen von 14plus und beide haben mit Musik zu tun. In dem deutschen Beitrag love, peace & beatbox portraitiert Volker Meyer-Dabisch die Beatbox-Szene in Berlin. Und in War Child von Christian Karim Chrobog geht es um Emmanuel Jal, einen ehemaligen Kindersoldaten, der jetzt in den USA ein bekannter Hip Hopper ist. In dem Film kehrt er zurück in sein Heimatdorf und trifft zum ersten Mal Familienmitglieder, die überlebt haben. Sehr berührend.

Mit dem Rücken an der Wand, die Versöhnung vor Augen

Unabhängig von der alljährlichen formalen Vielfalt, könntet Ihr benennen, wo ihr diesjährige thematische Schwerpunkte seht?

MR: Uns ist aufgefallen, dass in verschiedenen Filmen auf sehr unterschiedliche Weise das Thema „Versöhnung“ angerissen wird, zum Beispiel in Munyurangabo. Dort geht es um zwei befreundete Jungen in Ruanda, die gemeinsam eine lange Reise machen, sich zerstreiten und am Ende gibt es eine sehr nahegehende Versöhnung. Dabei stellt sich einem gerade im Wissen um die jüngste ruandische Geschichte die Frage: Wie kann man verzeihen, nachdem so viele, auch brutale und unverzeihliche Dinge, passiert sind? Was ist die Lösung zum Konflikt in dieser Beziehung?

TH: Und zwischen den Generationen.

MR: Und in Familien. Erst hat man das Gefühl, man steht mit dem Rücken an der Wand und es geht nicht weiter - aber dann kommt die Versöhnung.