2007 | Forum

Seriös und Spaß dabei

Forum-Chef Christoph Terhechte möchte mit dem Klischee aufräumen, seine Sektion sei lustfeindlich und für Spaß nicht zu haben. Auch 2007 will das Forum vielmehr beweisen, dass Kino am meisten Spaß macht, wenn man sich von den Forderungen des Mainstreams nicht einengen lässt. Ein Gespräch über die Freude an der Ernsthaftigkeit, den Reiz des Unausgewogenen und die Möglichkeit mit einem Filmprogramm Vorurteile aufzubrechen.

Elfriede Jelinek in Prater von Ulrike Ottinger

Das Forum hat sein diesjähriges Programm selbstbewusst als "nicht ausgewogen" vorgestellt, sondern als eines, das Kontraste und auch Gegensätze sucht. Warum ist Ausgewogenheit nicht notwendig eine Tugend für ein Filmprogramm?

Bei Filmprogrammen wird Ausgewogenheit oft geografisch definiert. Wenn man aber versucht, jedem Land gerecht zu werden, läuft man Gefahr, dass die Filme in keiner Beziehung zu einander stehen. Wir machen kein Proporz-Programm, das Quoten bedient für bestimmte Regionen, für Dokumentar- und Spielfilm, für Filme von Frauen oder von Männern. Wir machen ein Programm, in dem sich die einzelnen Filme zueinander gesellen und in dem sich durch thematische und formale Verbindungen ein Netz aufbaut. Für mich besteht die Kunst des Programmierens darin, dass dieses Netz hält, wenn man es anfasst, und nicht auseinander bricht. Auch dieses Konzept schließt natürlich einen positiven Begriff des Austarierens ein, einer gewissen Ausgewogenheit also. Man kann es mit dem Kochen vergleichen: Da wirft man ja auch nicht einfach die vermeintlich besten Zutaten zusammen und hofft, dass was Gutes dabei herauskommt.

Das heißt also auch, das Forum "macht Programm" und versteckt sich dabei nicht hinter der Auskunft: "Wir zeigen, was uns angeboten wurde. Wenn es euch nicht gefällt, beschwert euch anderswo."

Richtig. Nach der Programm-Pressekonferenz kommen oft Journalisten auf uns zu und fragen: 'Warum habt ihr denn diesmal nichts aus meinem Land?' Und wir sagen: 'Letztes Jahr hatten wir vier Filme aus deinem Land und die passten toll ins Programm, aber daraus ergeben sich ja keine Garantien.' Wir bewahren uns in der Programmarbeit eine Offenheit, durch die sich Kontinuitäten und Neuerungen spontaner ausdrücken können. Die Surrealisten haben von 'écriture automatique' gesprochen: "Wenn man das Bewusstsein ausschaltet, ergibt sich das wahre Bild." Ganz so ist es natürlich nicht, wir denken schließlich nach beim Programmieren. Aber wir wollen die Einflüsse aufnehmen, die es in der Welt gibt und ihnen gerecht werden – ohne schon einen Filter davor zu schalten. Das ist mir sehr wichtig.

Forum expanded: Jackie Raynal Cinematon Nr. 110

"Internationales Forum des Jungen Films" - "International Forum for New Cinema". Der deutsche Name betont den "jungen Film", der englische das "neue Kino". Wie zeitgemäß sind diese Akzente eigentlich?

Diese Namen entsprechen nicht mehr so recht unserem Selbstverständnis. Deshalb sind wir dazu übergegangen, die Sektion kurz das Forum der Berlinale zu nennen. "Jung" und "new" kommen aus einer Zeit, als sich das Forum explizit gegen eine Berlinale stellte, die im doppelten Sinne "old" war: "old fashioned" und auch als Institution gealtert. Die Idee war damals, eine verkrustete Struktur aufzubrechen, in der eine bestimmte Art von künstlerisch unabhängigem Film kaum eine Chance hatte. Alle großen Festivals haben Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre diesen Bruch und den darauf folgenden Erneuerungsprozess durchgemacht. Das heißt natürlich nicht, dass damals nicht auch tolle Filme auf der Berlinale liefen. Aber es gab ein derart drückendes Übergewicht an Filmen, die keine Chance bekamen, dass man sagte: Lasst uns das Alte zerbrechen und etwas Neues machen. Heute sind wir in einer ganz anderen Situation.

Village People Radio Show

"Man kann eine Menge Neues entdecken, wenn man nicht jedes Mal eine Revolution erwartet."

Aber die Erwartung, beim Forum etwas wirklich "Neues" zu sehen, ist trotzdem geblieben. Gibt es eigentlich immer wieder noch was Neues zu entdecken?

Klar gibt es ständig Neues zu entdecken. Die kinematographische Welt ist zwar heute präsenter, als sie es Anfang der 70er Jahre war. Aber wie viele Leute können denn von sich sagen, dass sie das malaysische Kino kennen? Im letzten Jahr hatten wir zwei malaysische Filme, in diesem Jahr wieder einen. Da tut sich im Moment etwas: neue Leute, die mit neuen Ideen tatsächlich etwas Neues machen. Was Amir Muhammad im letzten Jahr mit The Last Communist gemacht hat, hatte einfach noch nie jemand gemacht: die Geschichte der kommunistischen Partei als Musical zu erzählen. In diesem Jahr ist er mit Village People Radio Show vertreten: ein Dokumentarfilm als Radio-Show mit Shakespeare'schem Hintergrund. Man kann eine Menge Neues entdecken, wenn man nicht jedes Mal eine Revolution erwartet. Der Begriff Innovation hat sich tot gelaufen, das stimmt. Aber solange die Welt sich verändert und Filmemacher darauf reagieren, haben Festivals auch etwas, das sie aufgreifen können.

Oft ergibt sich, dass die Leute, die etwas Neues machen, auch die Jungen sind. Das liegt in der Natur der Sache, aber auch das ist nicht notwendig so. Das Forum gibt vielen Filmemachern Raum, die über Jahre ein unangepasstes, freies und individuelles Kino machen. Wir zeigen oft und gerne die Filme von Frederick Wiseman, der im fortgeschrittenen Alter immer noch wegweisende Arbeiten vorlegt, oder von Michael Snow, der noch immer filmisch die wildesten Dinge treibt.

Das Forum pflegt ja auch, wie alle Sektionen, bewusst Kontinuitäten.

Das stimmt, aber wir brechen sie auch sehr bewusst. Wenn wir alle, die zur "Familie" gehören, immer automatisch einladen würden, dann könnten wir uns das Programmieren sparen. Dann würden wir schauen: Wer hat eingereicht von den guten Bekannten, alles klar, Programm ist fertig. So läuft es ja nicht. Kontinuitäten sind wichtig, aber wenn wir jedes Jahr alle diese Kontinuitäten wahren wollten, würde das Programm ins Unermessliche ausufern.

Das Forum sieht eine seiner Aufgaben darin, hierzulande wenig gesehenen Kinematographien und damit auch fremden gesellschaftlichen Realitäten eine Präsenz zu verschaffen. Aber auch für das Kino bedeutet Globalisierung ja ein Näherrücken, damit auch Vereinheitlichung – aber keineswegs mehr Verständnis oder Gleichberechtigung. Wie stellt sich Fremdheit in Zeiten der Globalisierung dar?

Ich bin immer noch davon überzeugt, dass Kino einen Beitrag dazu leisten kann, dass das scheinbar Fremde zum Vertrauten wird. Filme können Vorurteile aufbrechen und anstelle reflexartiger Abwehr des Fremden eine wirkliche Beschäftigung stattfinden lassen. Das heißt allerdings nicht automatisch, dass das Kino auch etwas gegen die Ungleichbehandlung ausrichtet. Da setzt der politische Film ein und auf diesem Terrain hat sich in den 37 Jahren, seit es das Forum gibt, enorm viel verändert. Es wird jedes Jahr neu definiert, wie das Politische im Film dargestellt werden kann, auf welche Weise Film politisch wird.

Wir zeigen in diesem Jahr einen Film über Mauretanien, Le Cercle des noyés. Der Konflikt in Mauretanien hat eine 20jährige Geschichte und ist eigentlich beigelegt, seitdem vor zwei Jahren der Diktator gestürzt wurde. Der im afrikanischen Kontext wesentlich "präsentere" Konflikt ist der in Darfur, wo unfassbare Schlächtereien stattfinden. Man könnte also sagen, Le Cercle des noyés sei nicht mehr aktuell. Aber wenn man sich den Film ansieht, erkennt man, dass darin viel Grundlegendes behandelt wird: Warum kommt es zu Ausgrenzung? Wie wird Ausgrenzung organisiert? Wie wird Ungleichheit geschaffen? In diesem Konflikt ist es die arabische Kultur Mauretaniens, die die schwarze Kultur aus dem Süden ausgrenzt. Ausgrenzung heißt hier, dass die Betroffenen in jedem Sinne kleingehalten werden: wirtschaftlich, politisch, menschlich, bis hin zur Ermordung.

Der Film bearbeitet sein Thema filmisch so aktuell, dass ich ihn als zeitgemäßer empfinde, als die vielen Filme zu den aktuellen Konflikten, die einem die Bilder um die Ohren hauen. Uns wurden einige hervorragend recherchierte und politisch fundierte Filme angeboten, die jedoch formal derart mangelhaft waren, dass sie in einem Jahr ihre Aktualität verloren haben werden. Le Cercle des noyés dagegen wird auch in zehn Jahren noch viel über die Zusammenhänge von Fremdheit, Ausgrenzung, Unterdrückung aussagen – unabhängig von dem konkreten politischen Konflikt, den er darstellt.

I was a Swiss banker von Thomas Imbach

Weiße Flecken und kinematographische Schwellenländer

Der Berlinale Talent Campus hat in diesem Jahr das Motto "Home Affairs, Privacy and Politics". Es geht um die sich verändernden Produktionsbedingungen für Filme. Dorothee Wenner, die Leiterin des Talent Campus, sagt, dass die "weißen Flecken" auf der Filmlandkarte immer größer werden, weil in ganzen Regionen die filmwirtschaftliche Infrastruktur zusammen bricht und diese dann auch in der globalen Bildpolitik gar nicht mehr, oder nur noch klischeehaft repräsentiert werden. Ist es eine Krise der Produktionsmöglichkeiten oder eine Krise des Zugangs zum globalen Filmmarkt?

Beides in gleichem Maße. Man könnte mit einigem Recht sagen, dass sich das Forum-Programm dieses Jahr wie eine Illustration des Campus-Mottos liest – und zwar auch in dem was fehlt, in den "weißen Flecken". Im Gegensatz zum Talent Campus kann das Forum bei aller Neugier und Offenheit nur abbilden. Deshalb sieht man in unserem Programm die weißen Flecken, und der größte weiße Fleck ist Afrika, woher wir dieses Jahr nur zwei Filme haben. Solche weißen Flecken gibt es allerdings auch an anderer Stelle und die Gründe für diese Lücken sind jeweils sehr verschieden. Der Talent Campus dagegen macht ja Kino, er macht sogar Filmemacher. Er bringt junge Leute gezielt dazu, Filme zu machen, und hat deshalb eine andere Position, wenn es darum geht, diese Flecken zu füllen.

Wenn ich sage, dass das Forum vor allem abbildet, bedeutet das nicht, dass wir auf den eingefahrenen Wegen bleiben. Wir sind immer bereit, unsere Aufmerksamkeit zu bewegen. Es gibt ja nicht nur weiße Flecken, sondern auch "kinematographische Schwellenländer", in denen ganz plötzlich eine Bewegung entsteht. Malaysia ist wie gesagt ein Beispiel dafür. Ob sich diese Dynamik halten kann, hängt natürlich davon ab, wie gut die Infrastruktur im Land selbst, aber auch von außen unterstützt wird. Dafür gibt es international immer mehr Netzwerke, an denen die Berlinale mit dem World Cinema Fund und dem Co-Production Market auch beteiligt ist. Aber es kommt wesentlich darauf an, dass es im Land selbst einen Nährboden gibt für kinematographische Entwicklungen.

Im letzten Jahr gab es in den Kinos und auf Festivals auffällig viele Großproduktionen zu sehen, in denen Afrika als Bühne für politisch aufgeladene Dramen und Actionunterhaltung figurierte. Auf der anderen Seite die Situation, dass die filmwirtschaftlichen Brachen auf dem Kontinent selbst immer größer werden. Wie siehst du diese Entwicklung?

Diese Filme haben natürlich ihre Daseinsberechtigung, sofern sie aufrichtig gemacht sind. Auch auf der Berlinale haben sie durch das differenzierte Sektionsprofil ihren Platz gefunden, wenn sie dazu geeignet waren, ein Bewusstsein für bestimmte Krisensituationen zu wecken. Auf der anderen Seite hat das Festival Instrumente wie den World Cinema Fund und den Talent Campus, die bewusst weiter unten und vor Ort ansetzen. Denn die Lage ist ja nicht hoffnungslos, es gibt immer wieder interessante Arbeiten und Prozesse. Diese sollten wir beobachten, unterstützen und ernst nehmen.

Seriös und Spaß dabei

Die Presse hat sich sehr interessiert gezeigt an der Ankündigung, dass es auf der Berlinale ein "Gossip Studio" geben wird: Klatsch und Tratsch, und das auch noch im Forum! Feindliche Übernahme oder Selbstironie? Was hat es mit dem "Gossip Studio" auf sich?

Das schlimmste Klischee über das Forum ist, dass wir lustfeindlich und nicht vergnüglich seien und nur ernsthafte Filme zeigen. Ich finde, damit sollte man mal grundsätzlich aufräumen. Man kann seriös sein und Spaß haben zugleich. Eine Sache mit Vergnügen zu betreiben und sie ernsthaft zu betreiben, das gehört für mich zusammen. Ich finde, man kann im Forum am meisten Spaß haben, weil wir am meisten zulassen und spielerisch mit Kino umgehen. Man darf sowohl innerhalb des Films verspielt sein, wie zum Beispiel Thomas Imbach in I was a Swiss Banker, und man kann auch die Grenzen des Kinobereichs übertreten, wie es das Forum expanded Programm tut. Als Teil von Forum expanded ist das "Gossip Studio" deshalb die logische Fortschreibung einer Grundidee des Forums und die heißt: Spaß haben mit dem Kino und sich nicht eingrenzen lassen von den Beschränkungen, die einem der Mainstream auferlegt. Denn je näher man sich am Mainstream hält, desto engeren Regeln muss man folgen.