Zusätzliches

21.10.2022
Erweiterte Studie zu Alfred Bauer / Öffentliche Paneldiskussion

Die Berlinale und das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) veröffentlichen eine erweiterte Studie zu Gründungsdirektor Alfred Bauer / Einladung zu einer öffentlichen Paneldiskussion am 2. November

Im Januar 2020 wurde durch Medienveröffentlichungen aufgedeckt, dass die Rolle des ersten Direktors der Berlinale, Alfred Bauer, in der Reichsfilmintendanz, der zentralen Institution zur Steuerung der Filmproduktion im NS-Regime, bedeutender war als bislang bekannt. Alfred Bauer war von 1951 bis 1976 Direktor der Berlinale und damit einer der wesentlichen Akteure beim Aufbau des Festivals.

Der Berlinale-Gründungsdirektor Alfred Bauer 1961.

Die Berlinale-Leitung setzte umgehend die Auszeichnung Silberner Bär – Alfred-Bauer-Preis ab und beauftragte das unabhängige Institut für Zeitgeschichte München−Berlin (IfZ), Alfred Bauers Position in der NS-Filmbürokratie näher zu untersuchen. Die im September 2020 veröffentlichte Vorstudie des IfZ belegte, dass Alfred Bauer während seines Entnazifizierungsverfahrens von 1945–47 durch bewusste Falschaussagen, Halbwahrheiten und Behauptungen die Bedeutsamkeit seiner Rolle während der Nazizeit verschleiert hatte. Die IfZ-Studie kam zu dem Schluss, dass Bauer nicht wie von ihm behauptet ein Gegner des NS-Regimes gewesen war, sondern dass er durch seine Rolle im NS-Filmwesen zur Stabilisierung und Legitimierung der NS-Herrschaft beitrug.

Vorstellung einer erweiterten Studie

Aufgrund der neuen Erkenntnisse stellte sich die Berlinale-Geschäftsführung die Frage, wie sich der Blick auf die Gründungsjahre der Berlinale durch sie verändert, und ob die NS-Verstrickungen Bauers Auswirkungen auf die Gestaltung des Festivals hatten. Der Fall Bauer gehört zu den Forschungslücken in der historischen Aufarbeitung der Nachkriegs-Filmbranche. Das IfZ wurde daher beauftragt, die Studie zu erweitern. Die Ergebnisse des IfZ (777 KB) liegen nun vor.

„Wir danken dem IfZ für die ausführliche erweiterte Recherche zu Alfred Bauer. Seit 2020 gab es Gewissheit, dass Bauer eine bedeutende Position im NS-Filmwesen innehatte und durch geschickte Verschleierungen seine Karriere im Kulturbetrieb der jungen Bundesrepublik fortsetzen konnte. Die aktuelle Studie des IfZ zeichnet das nach, kommt aber auch zu dem Schluss, dass dies nicht zu einer NS-ideologischen Prägung des Festivalprogramms führte. Der Blick auf die Festivalgeschichte wurde geschärft und das bestätigt erneut, wie wichtig es ist, immer wieder kritisch die eigene Geschichte zu reflektieren“, sagt das Leitungsduo der Berlinale, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian.

Folgende Kernaussagen trifft die Studie „Schaufenster im Kalten Krieg. Neue Forschungen zur Geschichte der Berlinale in der Ära Alfred Bauer (1951-1976)“:

Schon in den 1950er Jahren kursierten Gerüchte über Bauers Karriere im Nationalsozialismus. Bauer setzte sich gegen diese z. T. diffus formulierten Anschuldigungen vehement zur Wehr und wies sie als „Verleumdungen“ zurück. 1960 prüfte die Berliner Senatsverwaltung die Vorwürfe gegen Bauer. Wesentliche Dokumente dieser Prüfung sind nach jetzigem Kenntnisstand archivalisch nicht überliefert. Offenbar reichten die gesammelten Informationen aber nicht aus, um personelle Konsequenzen zu ziehen.

Noch vor Beginn der ersten Berlinale war Bauer geneigt einen Film Karl Ritters, einem der prominentesten NS-Propagandaregisseure, unter Verheimlichung des Urhebers zu zeigen, was durch die Senatsverwaltung verhindert wurde. Es gibt darüber hinaus aber keine weiteren Hinweise, dass Bauers Filmauswahl für die Berlinale ideologisch belastet war oder gezielt NS-Regisseure ins Programm genommen wurden. Bauer betonte stattdessen seine apolitische Einstellung zum Medium Film. Dennoch war seine Tätigkeit als Festivalleiter nicht frei von Politik, sondern fügte sich ins neue System des Ost-West-Konflikts: Demnach sollte die Berlinale als „Schaufenster der freien Welt“ mithilfe des Kulturguts Film die Überlegenheit des westlichen Systems demonstrieren.

Bauer war in den Anfangsjahren der Berlinale nicht der einzige Akteur, der als NS-belastet betrachtet werden muss. Allerdings wurde das Festival durch derartige „Netzwerke“ nicht geprägt: Eine wesentliche Rolle spielten letztlich auch Personen, die dem NS-Regime kritisch gegenübergestanden hatten und z. T. auch politisch verfolgt worden waren. Im Gründungsausschuss der Berlinale trafen demnach frühere Unterstützer und Gegner des NS-Regimes aufeinander, die unter Beobachtung der britischen und amerikanischen Siegermächte daran arbeiteten, die Berlinale in der neuen Frontstellung des Kalten Krieges zu etablieren.

Alfred Bauers Verhältnis zur Senatsverwaltung war wiederholt konfliktreich und von fortwährenden Kompetenzstreitigkeiten geprägt. Zahlreiche Spannungen ergaben sich durch seinen eigenmächtigen Arbeitsstil. Allerdings trug Bauer durch sein Organisationstalent, sein Bekenntnis zur Förderung qualitativ hochwertiger Filme und seine internationalen Netzwerke maßgeblich zum Erfolg der Berlinale bei.

Öffentliche Paneldiskussion

„Schaufenster im Kalten Krieg. Neue Forschungen zur Geschichte der Berlinale in der Ära Alfred Bauer (1951-1976)“
Anlässlich der Veröffentlichung der erweiterten Studie lädt die Berlinale am 2. November um 18:30 Uhr im Berliner Hebbel am Ufer (HAU1) zu einer Paneldiskussion ein.

18:30 Uhr Begrüßung durch Mariette Rissenbeek, Geschäftsführerin der Berlinale
Impulsreferat von Dr. Andreas Malycha (IfZ)

18:50 Uhr Paneldiskussion
Moderation: Prof.Dr. Andreas Wirsching (Direktor IfZ)

Teilnehmer*innen:
Dr. Stefanie Mathilde Frank (Stellvertretende Direktorin der Theaterwissenschaftlichen Sammlung, Institut für Medienkultur und Theater, Köln)
Annekatrin Hendel (Produzentin, Regisseurin)
Dr. Wolf-Rüdiger Knoll (IfZ)
Dr. Felix Moeller (Historiker, Produzent, Regisseur)

Die Paneldiskussion findet in Kooperation mit dem IfZ München-Berlin statt.
Die Veranstaltung ist öffentlich. Eintritt frei.

Interessierte Journalist*innen können sich unter für eine Sitzplatzreservierung anmelden.

Inhaltliche Rückfragen zur Studie des IfZ können an die Pressestelle des Instituts für Zeitgeschichte, , Tel. 089/126 88–150, gerichtet werden.


Presseabteilung
21. Oktober 2022