2019 | Berlinale Talents

Passiert, na und? Umso besser.

Höher, weiter, besser? Nicht unbedingt! Mit ihrem Thema „Mistakes – How to Fail Better“ gehen Berlinale Talents dieses Jahr in die 17. Runde und plädieren für mehr Ehrlichkeit, mehr Risiko und eine offene Fehlerkultur. Was genau dahinter steckt, davon erzählen Projektleiterin Christine Tröstrum und Programmleiter Florian Weghorn.

Teilnehmer*innen der Berlinale Talents beim Talents Pool 2018

Steigen wir doch einfach mal mit einer ganz simplen Frage ein: Wie häufig macht ihr Fehler?

Christine Tröstrum: Das kommt natürlich auf die Tagesverfassung und den Stresslevel an. Wir finden es extrem wichtig, sich die Möglichkeit des Fehlermachens überhaupt einzugestehen und sich mit anderen darüber auszutauschen. Denn nur so kann man sich gegenseitig unterstützen. Ich denke, dass ein transparenter Umgang auch mit Missgeschicken für eine funktionierende Teamarbeit essenziell ist.

Florian Weghorn: Wenn man Fehler so definiert, wie wir es programmatisch tun, dann passieren sie uns eigentlich am laufenden Band. Wir meinen ja nicht die klassischen Schreibfehler oder einen verpatzten Schnitt im Film. Bei uns im Programm geht es um die bisweilen unvermeidliche – oder auch gewollte – Unvorhersehbarkeit kreativer Arbeit. Nicht alles verläuft nach Plan, und daraus ergeben sich dann wiederum neue Möglichkeiten, Ideen und Lösungen. Auch unsere Talks und Workshops sind in dieser Hinsicht ergebnisoffen. Wir gehen gemeinsam mit unseren Talenten, den Gästen und Zuschauer*innen in das kreative Risiko, auch mal auf spannende Abwege zu geraten. Richtig und Falsch gibt es erstmal nicht – für uns zählt: interessant und relevant.

Der Regisseur David Lowery

Geht es euch also darum, die negative Wahrnehmung von Fehlern umzulenken?

FW: Manches im Leben geht natürlich einfach schief, und das ist dann auch bitter. Wir wollen aber zeigen, dass ein vermeintliches Manko auch als schöpferisches Experiment funktionieren kann – je nachdem aus welcher Perspektive man drauf schaut. Deswegen haben wir uns auch für den Untertitel "How to Fail Better" entschlossen – durchaus natürlich mit Augenzwinkern.

CT: Passend zum lustvollen Trial and Error ist zum Beispiel der Talk mit David Lowery. Den US-amerikanischen Indie-Regisseur und Berlinale Talents-Alumnus kennt man durch seine Filme A Ghost Story (2017) und The Old Man & the Gun (2018). Er kommt direkt von neuen Dreharbeiten nach Berlin, und es ist absichtlich noch nicht klar, wie die Veranstaltung im HAU1 wirklich ausgehen wird: David bringt viel Musik, Videoclips und Filmsequenzen mit, und wir machen uns auf eine Reise durch das, was ihn inspiriert: Das Publikum soll live mit David erfahren können, wie er die Ideen für seine Filme entwickelt.

Was hat euch dazu bewegt, euch mit dem Thema „Mistakes“ auseinanderzusetzen?

FW: Die Themen entstehen bei uns zum einen aus dem Bauch heraus. Zum anderen beobachten wir schon seit einigen Jahren – sowohl bei unseren Talenten als auch an uns selbst – einen wachsenden Hang zur Selbstoptimierung: Alle wollen besser werden, schönere und qualitativ hochwertigere Filme machen, erfolgreicher und solider finanziert werden. Das ist natürlich auch gut so, aber der Druck nimmt zu, was langfristig zu einer großen Belastung führen kann. Der Fokus auf „Fehler“ hat im Umkehrschluss natürlich auch etwas mit dieser Selbstoptimierung zu tun, klar. Aber es gibt dann eben auch die Option, einmal innezuhalten. Für uns war die Themenfindung diesmal extrem erleichternd: „Let‘s take a deep breath and fail better!“ Jetzt wollen wir mal sehen, wo uns das hinführt.

CT: Wir beschäftigen uns auch schon länger damit, wie man mit Veränderungen gut umgehen kann. Gerade heutzutage werden wir ja permanent mit sehr vielen Neuerungen konfrontiert. In der Filmindustrie ändern sich durch die schnelle digitale Entwicklung nicht nur Macharten, sondern gerade auch alle Verwertungsketten. Mit dem Thema geht es uns dieses Jahr also auch darum, zu lernen, sich selbst und die eigene Resilienz zu stärken, um auf neue Herausforderungen möglichst gelassen und kompetent reagieren zu können. Von einer großen Runde mit Tendo Nagenda, dem VP of Original Film bei Netflix, bis hin zu starken Konzepten für die Zielgruppenarbeit im Arthousekino ziehen wir alle Register.

Programmleiter Florian Weghorn und Projektleiterin Christine Tröstrum

Diversity, Collaboration, Impact und Innovation sind die vier Leitthemen, die euch über die Jahre hinweg begleiten und euer Programm gewissermaßen auszeichnen. Wie genau kommen sie in diesem Jahr zum Tragen?

FW: Zunächst mal sind das übergreifende Themen, mit denen sich unsere Initiative und das gesamte Festival identifizieren. Bei der Berlinale wollen wir sie aber nicht einfach nur als Schlagworte stehen lassen, sondern mit Leben füllen. Man darf die Wirkung von Festivals vielleicht nicht überschätzen, aber, wo wir können und dürfen, soll unsere Arbeit Vorbild sein und Impulse setzten – über den Februar hinaus und mitten hinein in wichtige Debatten wie zum Beispiel #MeToo. Die genannten Leitthemen sind dabei auch kritische Fragen an uns selbst: Was können wir als Institution tun, um den wirklichen, systemischen Change voranzutreiben?

CT: Und klar, wir sind ja schon aus Prinzip sehr divers aufgestellt: Unsere Talente kommen aus über siebzig Ländern und nochmal mehr Kulturen. Die Mehrzahl unserer Talente ist dieses Jahr weiblich. Nur, Sichtbarkeit allein erzeugt noch keinen Wandel. Veränderung kommt erst, wenn Menschen sich verbinden und an die Grundlagen gehen. Und danach richten wir unser Programm aus: Wir kanalisieren Veränderungsbotschaften; wir diskutieren aber auch die Schwierigkeiten und Hürden, die sich ergeben, wenn es an die Umsetzung geht.

FW: Unsere größten Vorbilder sind übrigens die Talente selbst: Vom Kamerafrauenkollektiv in Brasilien bis hin zum recycelten Setbau im Sinne des „Green Film Shooting“ engagieren sie sich weit über ihre Filme hinaus. Die Vielfalt dieser Projekte bilden wir erstmals auch in unserer Publikation ab und haben zudem die Talents Footprints ins Leben gerufen: Am Ende der Talents-Woche machen wir eine Veranstaltung in Kooperation mit der deutschen UNESCO und dem Auswärtigen Amt. Wir fragen uns, wie Diversität, Kollaboration, Gerechtigkeit der Arbeitsverhältnisse und Zugang zu Bildung im kulturellen Sektor vorangebracht werden können. Sustainability, also Nachhaltigkeit, bildet hier den Oberbegriff. Gar nicht nur im ökologischen Sinne, sondern in Anlehnung an die weiter gefassten Sustainable Development Goals der UN: also langfristig!

Teilnehmer Coicoi Nacario beim Camera Studio Workshop 2018

Was euer Programm ebenfalls auszeichnet, ist die Auseinandersetzung mit dem ganzen Spektrum des Filmschaffens.

FW: Absolut, bei uns spielen durch die Woche hinweg alle Gewerke eine Rolle. Mit dem Bereich Editing werden wir anfangen: Kill Your Darlings ist ein Klassiker und sehr beliebt auch in der Öffentlichkeit. Es wird auch Schwerpunkte auf Kamera und Bildtechnik geben, zum Beispiel den Survival Guide for Digital Workflows. Passend zum Thema „Fehler“ beschäftigen sich die Profis mit „vom Aussterben bedrohten Bildern“.

CT: So könnten wir jetzt alle Gewerke durchgehen: Spezialisten für Sound und das Geräuschemachen werden diskutieren, wie man speziell für Dokumentarfilme die Wirklichkeit durchs Sounddesign rekonstruieren kann. Wie weit ist ein solcher Eingriff in die Wirklichkeit überhaupt tragbar? Ist die Arbeit dann noch dokumentarisch?
Unsere beiden Gäste werden die Veranstaltung als Live-Workshop im HAU2 halten; da gibt’s also viel zu hören. Hier ist auch das öffentliche Publikum herzlich eingeladen, einen speziellen Blick in die Welt des Films zu werfen.

Nora Fingscheidt bei der Project Labs Presentation Script Station 2018

Stichwort öffentliches Programm: Für das öffentliche Publikum gibt es bei Berlinale Talents sowohl Talks als auch Filmvorführungen. Gibt es da etwas, auf was ihr euch dieses Jahr besonders freut?

CT: Vor zwei Jahren haben wir zusammen mit der Sektion Perspektive Deutsches Kino einen Förderpreis ins Leben gerufen, den Kompagnon. Nora Fingscheidt erhielt damals eine Auszeichnung für ihr Filmprojekt Systemsprenger. Durch den Preis wurde sie nicht nur finanziell gefördert, sondern erhielt auch ein längeres Coaching. Dafür haben wir uns eng mit Nora über das Projekt ausgetauscht, sie beraten und an Leute aus unserem professionellen Netzwerk vermittelt. Dass der fertige Film dieses Jahr für den Wettbewerb der Berlinale ausgewählt wurde, ist für uns eine extrem große Freude!

FW: Da wir für unsere fünf Vorführungen im HAU1 immer aktuelle Festivalfilme von Alumni auswählen, wird natürlich auch Systemsprenger mit dabei sein. Wir zeigen ihn am Samstagabend um 20:30 Uhr. Im Anschluss folgt dann ein Filmgespräch mit der Regisseurin und auch dem Produzenten Jonas Weydemann, der ebenfalls ein Talents Alumnus ist. Das Besondere bei unseren Filmgesprächen ist, dass wir immer ein bisschen mehr von der Entstehungsgeschichte mit erzählen können. Nora Fingscheidt war ja mit Systemsprenger schon bei uns in der Script Station. Damit wollen wir auch unseren neuen Talenten Mut und Lust machen, weiter an ihren Stoffen zu arbeiten und sie zu einem guten Ende zu führen. An seine Idee zu glauben, ist halt nie ein Fehler!