2008 | Kulinarisches Kino

Das A und O des guten Geschmacks

Zum zweiten Mal fand auf der Berlinale 2008 die Reihe Kulinarisches Kino mit dem Motto „Eat, Drink, See Movies“ statt. Die Veranstaltungen versprachen auch in diesem Jahr die ideenreiche und geschmackvolle Verbindung filmischer und kulinarischer Welten zu einem ganz besonderen Erlebnis. Im Interview spricht der Leiter des Kulinarischen Kinos, Thomas Struck, über den Zusammenhang von Leinwänden und Tischtüchern, verantwortungsvollen Genuss und das ungebrochene Engagement für Biodiversität und gesunde Ernährung.

'Global Mobile - Food: Cock-A-Doodle-Do' (Amlan Datta)

Global Mobile - Food: Cock-A-Doodle-Do

Kochen und Essen sowie in Entsprechung Filmemachen und -schauen sind ja auf den ersten Blick grundverschiedene Tätigkeiten. Das Kulinarische Kino denkt beide Bereiche zusammen. Wie versucht Ihr Zusammenhänge und Analogien erfahrbar oder produktiv zu machen bzw. warum bietet sich Film als Medium besonders an, um sich für gutes, gesundes Essen zu engagieren?

T.S. Als Medien begriffen vermitteln Film und Essen beide eine Botschaft. Einerseits auf einer vertikalen, der (Kino-)Leinwand, andererseits auf einer horizontalen Leinwand - meistens jedenfalls - einem Tischtuch. Für die Vermittlung steht in beiden Fällen nur eine bestimmte Zeit zur Verfügung. Zudem gehen sowohl Essen als auch Film unter die Haut. Dabei steht ein Medium ganz am Anfang der menschlichen Zivilisation – nämlich das warme Essen. Das andere steht im Augenblick am Ende unserer Zivilisation, das ist der Film, der übrigens nicht existieren würde, wenn es nicht auch in der Kamera mit dem „Focus“ ein „Feuerchen“ gäbe. Vor dem Hintergrund dieses Bogens der Menschheitsgeschichte spielt sich das Kulinarische Kino ab.

'Le charme discret de la bourgeoisie' (Luis Buñuel); © Cinématèque suisse

Le charme discret de la bourgeoisie

Sowohl im Film als auch beim Kochen oder beim Essen spielt die Kopplung verschiedener sinnlicher Wahrnehmungsformen eine Rolle. Im Kino handelt es sich dabei natürlich hauptsächlich um Prozesse des Sehens und Hörens. Ein Film kann aber auch sinnliche Reaktionen der Geschmacksnerven nach sich ziehen. Wie können die Köche diesen Erwartungen gerecht werden?

Es geht beim Kulinarischen Kino nicht um eine direkte Entsprechung zwischen dem Gesehenen und dem zubereiteten Menü. Genauso wenig sind in der Reihe nur Filme zu sehen, in denen permanent etwas gekocht oder gegessen wird. Wir zeigen einerseits Filme, die etwas mit Genuss und genussvollem Essen zu tun haben. Andererseits handeln unsere Filme aber auch davon, wie die Lebensmittel entstehen, und von der Verantwortung, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen. Wir zeigen also - im weitesten Sinne - Filme über Nahrung, Natur und Umwelt.

Im Unterschied zum Fernsehdinner, bei dem das Essen während des Zusehens verspeist wird, findet bei uns das Essen erst im Anschluss an den Film statt. Unsere Köche wollen mit dem Essen ein Gefühl oder eine Stimmung des Films interpretieren. Auf diese Weise werden die Zuschauer eine Interpretation der Gefühle, die sie mit dem Ende des Films in den Speisesaal tragen, mit dem Menü auf ihrem Teller wieder finden.

Darüber hinaus versuchen wir, mit dem Essen Gespräche unter den Zuschauern in Gang zu setzen, denn wir verstehen das Essen wie den Film als Kommunikationsmittel. In diesem Sinne findet die Kommunikation nach dem Film erst einmal in geordneten Bahnen in Form einer moderierten Talkshow statt, die unter anderen auch in diesem Jahr wieder von Alfred Biolek geleitet wird.

Wenn es dem Kulinarischen Kino auch um die Art der Nahrungserzeugung und den Umgang mit natürlichen Ressourcen geht, ist mit ihm also auch ein gewisses politisches Vorhaben verbunden?

Essen ist ein politischer Akt und umfasst viele brandaktuelle Themen: Von der Abfischung der Meere bis zur Ausrottung der Wälder. Auch die Tatsache, dass wir für dreizehn Milliarden Menschen Nahrungsmittel produzieren, aber nur sechseinhalb Milliarden Menschen auf der Erde leben, ist eine politische Angelegenheit. Letztlich bist Du mit jedem Bissen entweder Teil des Problems oder Teil der Lösung.

'Sharkwater. The Truth Will Surface' (Rob Stewart)

Sharkwater. The Truth Will Surface

Das ist natürlich ein sehr vielschichtiges Feld. Sicher gibt es auf der einen Seite das Verhalten des Verbrauchers, das seine Auswirkungen auf diese Zusammenhänge hat. Auf der anderen Seite spielen aber ja auch Prozesse, Verträge und Abhängigkeiten auf der Ebene der überregionalen Politik eine wichtige Rolle, die sehr komplex sind.

Das ist sicher so, aber, nur um Missverständnisse zu vermeiden: Wir begreifen uns nicht als aktivistische Umwelt- und Nahrungsmittelschutz-Veranstaltung. Vielmehr möchten wir mit der Reihe auf filmische und kulinarische Weise ein bestimmtes Bewusstsein erzeugen. Mehr ist es nicht und weniger auch nicht. Die Abende werden jeweils in einem überschaubaren Rahmen stattfinden, mit knapp 200 Gästen, die gemeinsam genießen, ohne dabei den Blick für den ernsten Hintergrund der Veranstaltung zu verlieren.

Die Organisation Slow Food, mit der das Kulinarische Kino ideell verbunden ist, setzt sich für „gut, sauber und fair“ hergestellte Nahrungsmittel ein. Das impliziert ja auch einen Aspekt von umwelt- und sozialverträglicher Produktionsweise. Wird dieser Gesichtspunkt im Programm des Kulinarischen Kinos seinen Platz finden?

Slow Food ist eine Philosophie, die uns sympathisch ist, weil sie das Essen in einen Bezug zur Kultur stellt und einen holistischen Blick auf die vielfältigen Zusammenhänge kultureller Tätigkeiten wirft, zu denen auch das Filmemachen und das Essen gehören. Dieser ganzheitliche Blick gefällt uns und auf dieser Grundlage haben wir eine Verbindung zu Slow Food.

Auf welche Köche können sich die Zuschauer freuen?

Auf Thomas Kellermann vom Restaurant Vitrum im Ritz Carlton, Bobby Bräuer von der Quadriga im Brandenburger Hof, Kolja Kleeberg vom Restaurant VAU und Cornelia Poletto vom Restaurant Poletto aus Hamburg.

Neben den Zubereitungen dieser Starköche wird es aber noch weitere Highlights beim Kulinarischen Kino geben. So werden zum Beispiel Carlo Petrini und Ferran Adrià zusammentreffen.

Ja, diese Begegnung zwischen Carlo Petrini, dem Gründer von Slow Food, und Ferran Adrià, dem Koch, der über das Schlagwort „Molekularküche“ bekannt geworden ist, verspricht sehr interessant und spannend zu werden, weil sich hier Polaritäten begegnen. Wir werden die Möglichkeit erhalten, den artifiziell wirkenden Ansatz Ferran Adriàs näher kennen zu lernen. Ihm geht es in seinem Schaffen um die Sprache der Küche und um die Essenzen der Lebensmittel, was nichts anderes heißt als um den Geschmack.

Im Grunde genommen hat Slow Food das gleiche Anliegen, denn hier gilt das Interesse ja ebenfalls den Ursprüngen der Lebensmittel und der Herkunft des Geschmacks. Diese Geschichte ist eingebettet in die Kultur, in der ein Nahrungsmittel entsteht. Von welcher Warte man es auch betrachtet: am Anfang und am Ende der Forschung immer wieder der gute Geschmack. Seine Erzeugung ist Aufgabe der Köche, der Bauern, der Fischer, der Mütter und aller Menschen, die etwas mit der Nahrungsproduktion zu tun haben.

'Cooking in the danger zone' (Marc Perkins)

Cooking in the danger zone

Der Erhaltung von Kulturtechniken und der Biodiversität hat sich die Universität der Gastronomischen Wissenschaften (UNISG) in Pollenzo verschrieben. Der Kameramann Michael Ballhaus hat sich dort ja engagiert und mit Studenten Filme produziert, von denen mit dem Kurzfilm Ein Tag in Eataly auch einer im Kulinarischen Kino zu sehen sein wird. Was steckt da dahinter?

Wir haben mit der Universität ein Programm entwickelt, bei dem eine „Enzyklopädie der Nahrung“ aufgebaut werden soll, um die vielfältigen Techniken der menschlichen Kultur im Zusammenhang mit Lebensmitteln und Nahrungsherstellung zu bewahren. Dieses Projekt bedarf natürlich einer umfangreichen Dokumentations-Arbeit, die sich gerade in Bezug auf Nahrung und Nahrungsmittel sehr gut mit dem Medium Film verwirklichen lässt. Michael Ballhaus, der selbst sehr gerne kocht, ist als Schirmherr an dem Projekt beteiligt und hat auch schon einen Kurs zur audiovisuellen Dokumentation geleitet. Momentan sind wir dabei, dieses Projekt weiterzuentwickeln.

Ebenfalls fortführen werden wir auch unsere Initiative „Schule des Essens“, die sich für eine gesunde Ernährung unserer Kinder und in der Schule einsetzt. In diesem Zusammenhang werden wir einen Kindertag veranstalten, auf dem in diesem Jahr Ratatouille gezeigt und anschließend auch gegessen wird.