Forum & Forum Expanded

20.12.2022
Stimmen aus dem Off, Körper im On: die ersten Filme des 53. Berlinale Forums

Concrete Valley von Antoine Bourges, Horse Opera von Moyra Davey, Poznámky z Eremocénu (Notes from Eremocene) von Viera Čákanyová

Etwas ist aus den Fugen zwischen Bild und Ton. Die ersten acht Filme im Programm des Forums erkunden die Möglichkeiten des Voiceovers, wagen Text-Bild-Scheren oder arbeiten mit einem reduzierten Bilderfundus, damit die Tonspur umso mehr Nachhall hat.

In einen New Yorker Club gehen, tanzen, die eigenen Bewegungen wahrnehmen, die der anderen bewundern und mäandernde Gespräche unter dem Einfluss von Substanzen führen: Von solchen präpandemischen Freuden erzählt eine Stimme in Horse Opera, einem Film der kanadischen Künstlerin Moyra Davey. Zu sehen sind darin jedoch kaum Bilder aus New York, sondern solche, die auf dem Land gedreht wurden: Aufnahmen von einer kleinen Farm, von Bären, Kröten und Vögeln, Füchsen und Pferden. An deren Körpern kann sich die Kamera kaum sattsehen.

Die Kluft zwischen Bild und Stimme, die Horse Opera prägt, macht sich auch in anderen Filmen des Forums bemerkbar. „Die direkte Verbindung zwischen Bild und Tonspur, Körper und Stimme ist gestört. Etwas ist aus dem Lot“, beschreibt es Cristina Nord, Leiterin der Forums-Sektion. „Während beide, Stimme und Bild, jeweils von großer Konkretion und Detailfreude zehren, streben sie zugleich auseinander.“

Diese Diskrepanz manifestiert sich in ganz unterschiedlichen Konstellationen. In Poznámky z Eremocénu (Notes from Eremocene), einem SciFi-Essay, entwirft die Regisseurin Viera Čákanyová eine Zukunft, in der die Erde so unbewohnbar ist, dass der Mensch, wenn überhaupt, als virtuelles Wesen überlebt. Die Bilder, auf 8mm und 16mm gedreht und dann mit einem besonderen Scan-Verfahren bearbeitet, stoßen auf ein Voiceover, das zu einem von künstlicher Intelligenz gestützten Alter Ego der Regisseurin gehört. In This Is the End von Vincent Dieutre hört man die Stimme des Regisseurs, der über seine Beziehung zu Amerika, seine Jahre in New York und seine wiederaufgeflammte Affäre nachdenkt, während sich die Kamera durch die Straßen des von der Pandemie gezeichneten Los Angeles bewegt. In Dearest Fiona, einer Arbeit der Künstlerin Fiona Tan, liest eine Stimme Briefe vor. Briefe, die Tans Vater, ein Australier mit chinesisch-indonesischer Familiengeschichte, der Regisseurin vor gut 30 Jahren schrieb, nachdem sie zum Studium der Kunst nach Amsterdam gezogen war. Die Bilder dazu stammen aus einer ganz anderen Zeit. Sie sind gut ein Jahrhundert alt, meist schwarz-weiß, manchmal nachkoloriert, und geben einen fast ethnografischen Einblick vom niederländischen Alltag mit Fischfang und Landgewinnung, Tulpenzucht und Werftarbeit, Dammbau und Dorfleben. Wenn im Hafen Güter aus der ehemaligen Kolonie Niederländisch-Indien gelöscht werden, deutet sich eine Verbindungslinie an.

Kommunikationsversuche über Kontinente hinweg und die dazugehörigen Brüche und Kontraste spielen auch in Llamadas desde Moscú (Calls from Moscow) eine Rolle: Der Regisseur Luís Alejandro Yero schaut vier jungen Menschen aus Kuba dabei zu, wie sie in einer Plattenbauwohnung in Moskau rumhängen, ihre Smartphones benutzen, Kurzvideos von sich selbst drehen und nach Hause telefonieren. Nach draußen gehen sie selten, kein Wunder bei den Schneebergen und der Queerfeindlichkeit. Dass das Land, in dem sie leben, einen Angriffskrieg führt, blockiert ihre Möglichkeiten, nach Kuba zurückzukehren oder in ein anderes Land aufzubrechen.

Besonders eindringlich ist der Kontrast zwischen dem, was zu hören, und dem, was zu sehen ist, in Ulises de la Ordens El juicio (The Trial). Der argentinische Regisseur nutzt TV-Material, das 1985 ausschließlich in einem Gerichtssaal gedreht wurde. Den Mitgliedern der argentinischen Militärjunta wurde damals, zwei Jahre nach dem Ende der Diktatur, der Prozess gemacht. Viele Zeugen und Zeuginnen sprechen von der Folter, die sie erlitten haben. Während die Videobilder den Gerichtssaal, die ausdruckslosen Gesichter der Angeklagten, die Richter*innen oder die Staatsanwält*innen zeigen, entsteht auf der Tonspur, in den detailgenauen Aussagen der Überlebenden und im geduldigen Zuhören, ein umfassender Eindruck vom Ausmaß des staatlichen Terrors.

Übersicht der bisher bestätigten acht Titel des Forums.

Das komplette Programm wird Mitte Januar veröffentlicht, ab diesem Zeitpunkt wird zudem wieder umfangreiches Bonusmaterial zu den Forumsfilmen auf der Arsenal-Webseite zu finden sein.


Presseabteilung
20. Dezember 2022