Retrospektive, Berlinale Classics & Hommage

09.10.2019
Berlinale 2020: Retrospektive „King Vidor“

Bette Davis in Beyond the Forest

Der amerikanische Regisseur, Produzent und Drehbuchautor King Vidor (1894–1982) steht im Zentrum der Retrospektive der 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin. Vidor nimmt einen zentralen Platz in der Geschichte des US-amerikanischen Kinos ein und hat als einer der wichtigsten Regisseure gegen Ende der Stummfilmära und während der nachfolgenden Blütezeit Hollywoods einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das Ausloten des Potenzials der Filmsprache und die Auseinandersetzung mit den sozialen Fragen seiner Zeit begleiten sein gesamtes Œuvre.

Vidors filmisches Werk umfasst mehr als 50 Filme, die von Stummfilmklassikern zu gesellschaftspolitischen Themen wie The Crowd (1928) über Schilderungen sozialer Umbruchsituationen wie in Our Daily Bread (1934) bis zum Western Duel in the Sun (1946) und zur epischen Literaturverfilmung War and Peace (1956) reichen. 1925 gelang ihm der Durchbruch mit The Big Parade, der als erster kritischer Film über den Ersten Weltkrieg gilt und für das neugegründete MGM-Studio zu einem großen Erfolg wurde. Vidor entwickelte seine Kunst quer durch alle Genres, stets interessiert an filmtechnischen Innovationen und mit Hingabe an die Arbeit mit den bedeutendsten Schauspieler*innen seiner Zeit.

Carlo Chatrian, der als Künstlerischer Leiter zusammen mit Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek seit Juni 2019 die Leitung der Berlinale innehat: „Wir danken der Deutschen Kinemathek für die umfangreiche Retrospektive. Filminteressierte aller Generationen werden die Gelegenheit haben, erstmals oder erneut eine Reihe großartiger Filme zu sehen, die uns in das Universum eines einzigartigen Filmemachers führen. King Vidor war überzeugt von der Menschlichkeit, die das Kino seinem Publikum vermitteln kann, und hat zu diesem Zweck immer wieder neue filmische Mittel entwickelt. Das macht ihn heute – vielleicht mehr als andere Altmeister, deren Stil klar identifizierbar ist, – zu einer Inspirationsquelle für all diejenigen, die unsere sich rapide verändernde Welt erzählen möchten.”

Rainer Rother, Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen und Leiter der Retrospektive, kommentiert: „Anhand von King Vidors Werk lässt sich nicht nur die Geschichte Hollywoods über 50 Jahre hinweg nachvollziehen, sondern auch die der Vereinigten Staaten in jenem Zeitraum: Von Anfang an griff Vidor in seinen Filmen bedeutende Ereignisse und aktuelle politische Entwicklungen vom Ersten Weltkrieg über die Weltwirtschaftskrise bis zum New Deal auf. Eindrucksvoll ist zugleich seine vielseitige Inszenierungskunst.“

King Vidor kannte die glänzenden wie die Schattenseiten des Filmgeschäfts und verarbeitete diese Eindrücke in Show People (1928), in dem Marion Davies als unbekannte Slapstick-Darstellerin brilliert, die zur Filmdiva aufsteigt.
Klassenfragen und soziale Auf- und Abstiege spielen in Vidors Werk eine ebenso zentrale Rolle wie die Themen Immigration und gesellschaftliche Integration. Letztere behandelt Vidor nuancenreich und oft auch humorvoll in Filmen wie Street Scene (1931), The Wedding Night (1935), An American Romance (1944) und Japanese War Bride (1952). In The Champ (1931), Stella Dallas (1937) oder auch Ruby Gentry (1953) dagegen leuchtet er facettenreich das Innenleben von Figuren aus, die sich auf die Suche nach ihrer Identität zwischen verschiedenen Klassen machen. Bevorzugte Darsteller*innen verpflichtete er oft für mehrere Filme. Zu den Stars, die er auf der Leinwand zum Glänzen brachte, zählen Gary Cooper, Joseph Cotten, Marion Davies, Bette Davis, Henry Fonda, John Gilbert, Lillian Gish, Audrey Hepburn, Jennifer Jones und Gregory Peck.

Das Programm der Retrospektive umfasst rund 35 Filme aus fünf Jahrzehnten,die in bestmöglicher Qualität und überwiegend als 35-mm-Filmkopien präsentiert werden. Fünf Filme von King Vidor erhielten eine Oscarnominierung für die Beste Regie: The Crowd, Hallelujah, The Champ, The Citadel und War and Peace. 1978 wurde King Vidors Vielseitigkeit und innovative Kraft mit einem Ehrenoscar für sein herausragendes Lebenswerk ausgezeichnet. Eindrucksvoll bis heute ist seine meisterhafte Choreografie der Massenszenen in The Crowd, The Big Parade und in War and Peace, aber auch seine Experimentierfreude im Umgang mit Ton und Rhythmus: In Hallelujah, seinem ersten Tonfilm – er gilt als eine der ersten großen Studioproduktionen mit einem „all African-American cast“ – greift Vidor Einflüsse zeitgenössischer Jazzmusik auf. Seinen zweiten Western Billy the Kid (1930) filmte Vidor in Schwarz-Weiß auf 35 mm und zusätzlich auf 70 mm – lange vor der Hochzeit dieses Breitfilmformats. Opulent leuchten seine sechs Farbfilme, alle im Technicolor-Verfahren gedreht, darunter Northwest Passage (1940), Man Without a Star (1955) und Solomon and Sheba (1959).

Zur Retrospektive erscheint die zweisprachige Publikation „King Vidor“ (deutsch/englisch) im Bertz + Fischer Verlag. Der reich illustrierte Band präsentiert acht Essays von renommierten Filmwissenschaftler*innen und prominenten Cineast*innen, darunter Beiträge zu zentralen Themen in King Vidors Werk: sein besonderes Interesse für gesellschaftspolitische Fragen, seine Western sowie die Frauenfiguren in seinen Melodramen.
Begleitet wird das Filmprogramm der Retrospektive von zahlreichen Veranstaltungen in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen.

Die Filme der Retrospektive:

An American Romance (Ein amerikanisches Märchen)
USA 1944
mit Brian Donlevy, Ann Richards, Walter Abel, John Qualen

Bardelys the Magnificent (Die Galgenhochzeit)
USA 1926
mit John Gilbert, Eleanor Boardman, Roy D’Arcy, Lionel Belmore,
Restaurierte Fassung 2008

Beyond the Forest
USA 1949
mit Bette Davis, Joseph Cotten, David Brian, Ruth Roman

The Big Parade (Die große Parade)
USA 1925
mit John Gilbert, Renée Adorée, Hobart Bosworth, Claire McDowell
Restaurierte Fassung 2004

Billy the Kid
USA 1930
mit Johnny Mack Brown, Wallace Beery, Kay Johnson, Wyndham Standing

La Bohème
USA 1926
mit Lillian Gish, John Gilbert, Renée Adorée, George Hassell

Bud's Recruit
USA 1918
mit Wallis Brennan, Robert Gordon, Ruth Hampton
Restaurierte Fassung

The Champ (Der Champ)
USA 1931
mit Wallace Beery, Jackie Cooper, Irene Rich, Roscoe Ates

The Citadel
Vereinigtes Königreich / USA 1938
mit Robert Donat, Rosalind Russell, Ralph Richardson, Rex Harrison

Comrade X (Genosse X)
USA 1940
mit Clark Gable, Hedy Lamarr, Oscar Homolka, Felix Bressart

The Crowd (Ein Mensch der Masse)
USA 1928
mit Eleanor Boardman, James Murray, Bert Roach, Estelle Clark
Restaurierte Fassung

Cynara
USA 1932
mit Ronald Colman, Kay Francis, Phyllis Barry, Henry Stephenson

Duel in the Sun (Duell in der Sonne)
USA 1947
von King Vidor und William Dieterle
mit Jennifer Jones, Joseph Cotten, Gregory Peck, Lionel Barrymore
Restaurierte Fassung

The Fountainhead
USA 1949
mit Gary Cooper, Patricia Neal, Raymond Massey, Kent Smith

H.M. Pulham, Esq.
USA 1941
mit Hedy Lamarr, Robert Young, Ruth Hussey, Charles Coburn

Hallelujah
USA 1929
mit Daniel L. Haynes, Nina Mae McKinney, William Fountaine, Harry Gray

Japanese War Bride (Die japanische Kriegsbraut)
USA 1952
mit Shirley Yamaguchi, Don Taylor, Cameron Mitchell, Marie Windsor

Lightning Strikes Twice
USA 1951
mit Ruth Roman, Richard Todd, Mercedes McCambridge, Zachary Scott

Man Without a Star (Mit stahlharter Faust)
USA 1955
mit Kirk Douglas, Jeanne Crain, Claire Trevor, William Campbell

Northwest Passage (Nordwest-Passage)
USA 1940
von King Vidor, Jack Conway und Harold Weinberger
mit Spencer Tracy, Robert Young, Walter Brennan, Ruth Hussey

The Other Half (Die andere Seite)
USA 1919
mit Florence Vidor, Charles Meredith, ZaSu Pitts, David Butler
(Unvollständig überliefert)

Our Daily Bread (Der letzte Alarm)
USA 1934
mit Karen Morley, Tom Keene, Barbara Pepper, Addison Richrards

The Patsy (Ein Mädel mit Tempo)
USA 1928
mit Marion Davies, Marie Dressler, Lawrence Gray, Orville Caldwell
Restaurierte Fassung

The Real Adventure
USA 1922
mit Florence Vidor, Clyde Fillmore, Nellie Peck Saunders, Lilyan McCarthy
Restaurierte Fassung 2011 (unvollständig überliefert)

Ruby Gentry (Wildes Blut)
USA 1952
mit Jennifer Jones, Charlton Heston, Karl Malden, Tom Tully

Show People (Es tut sich was in Hollywood)
USA 1928
mit Marion Davies, William Haines, Dell Henderson, Paul Ralli
Restaurierte Fassung

The Sky Pilot
USA 1921
mit John Bowers, Colleen Moore, David Butler, Harry Todd
Digital restaurierte Fassung 2020

So Red the Rose (Die Farm am Mississippi)
USA 1935
mit Margaret Sullavan, Walter Connolly, Randolph Scott, Janet Beecher

Solomon and Sheba (Salomon und die Königin von Saba)
USA 1959
mit Yul Brynner, Gina Lollobrigida, George Sanders, Marisa Pavan

Stella Dallas
USA 1937
mit Barbara Stanwyck, John Boles, Anne Shirley, Barbara O’Neil

Street Scene
USA 1931
mit Sylvia Sidney, William Collier Jr., Estelle Taylor, Beulah Bondi
Restaurierte Fassung

The Texas Rangers (Grenzpolizei Texas)
USA 1936
mit Fred MacMurray, Jack Oakie, Jean Parker, Lloyd Nolan

War and Peace (Krieg und Frieden)
Italien / USA 1956
mit Audrey Hepburn, Henry Fonda, Mel Ferrer, Vittorio Gassman

The Wedding Night
USA 1935
mit Gary Cooper, Anna Sten, Ralph Bellamy, Helen Vinson

Wine of Youth
USA 1924
mit Eleanor Boardman, James Morrison, Johnnie Walker, Niles Welch



Presseabteilung
9. Oktober 2019