2025 | Historische Berlinale-Debüts

À bout de souffle (Außer Atem) - Jean-Luc Godard 1960

Szenen aus À bout de souffle, für den Jean-Luc Godard 1960 mit dem Silbernen Berliner Bär Beste Regie ausgezeichnet wurde.

Es gibt wohl kaum ein Werk, das die Filmgeschichte so klar in ein Vorher und Nachher teilt wie À bout de souffle (Frankreich 1960), mit dem Jean-Luc Godard am 5. Juli 1960 im Rahmen der 10. Internationalen Filmfestspiele Berlin debütiert. Mit einem souveränen Handstreich wirft er die eingeschliffenen Gesetze des guten Geschmacks über den Haufen und definiert die Spielregeln für das Zeigen und Sehen im Kino neu. Der Regisseur pfeift auf die etablierten und festgefahrenen Normen des unsichtbaren Schnitts, stattdessen fragmentieren Jump-Cuts und Achsensprünge Zeit und Raum. Raoul Coutards kongeniale Kameraarbeit nutzt anstelle großer Aufbauten das natürliche Licht, die Szenen werden aus der Hand geschossen. Ein festes Skript gibt es nicht, Godard schreibt die Dialoge früh im Café, anschließend wird an Originalschauplätzen – und nicht im Studio – gedreht. Die Arbeit am Film wird so schnell und flexibel, kurz gefasst: frei.

Sinnbild cooler Eleganz für die nachfolgenden Generationen: Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo

Fiebrig wie die Reise ins Unglück und letztlich den Tod seines Protagonisten ist die Ästhetik des Films. Buchstäblich atemlos erzählt À bout de souffle von Michel Poiccard, Kleinkrimineller und Polizistenmörder, und seiner kurzen Affäre mit der amerikanischen Studentin Patricia. Wortreich philosophierend navigieren sich die beiden durch ein Leben und eine Liebe voller Ungewissheiten und radikaler Überzeugungen. Über Nacht werden die beiden Hauptdarsteller*innen Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg zu popkulturellen Ikonen, zum Sinnbild cooler Eleganz und formen das Bild und den Gestus der Jugend in den 1960er-Jahren nachhaltig.

Auch wenn die ersten Reaktionen auf die Premiere in Berlin ambivalent sind, schwankend zwischen reiner Euphorie und Ängsten um die Moral der Jugend, ist nach À bout de souffle der Siegeszug der Nouvelle Vague nicht mehr zu stoppen. Sie erschüttert einem Erdbeben gleich das Weltkino, die seismischen Ausschläge werden stilprägend bis ins ferne (New!) Hollywood, wo Godards Arbeiten für Regisseure wie Francis Ford Coppola oder Martin Scorsese zum Maßstab werden.

Jean-Luc Godard und Anna Karina bei der Berlinale 1961

Nach 1960 ist Godard für ein Jahrzehnt Stammgast im Wettbewerb der Berlinale und schickt sich an, zu der Legende zu werden, als die er heute gilt. 1961 wird er für Une femme est une femme mit dem Silbernen Berliner Bär Sonderpreis der Jury ausgezeichnet, zudem gewinnt Anna Karina, langjährige Muse und von 1961 bis 1965 Ehefrau des Regisseurs, den Silbernen Berliner Bär Beste Darstellerin. Für die Science-Fiction-Dystopie Alphaville verleiht die Internationale Jury Godard 1965 den Goldenen Bären. Mit Masculin-Féminin (1966, Silberner Berliner Bär Bester Darsteller für eine weitere Ikone der Nouvelle Vague, Jean-Pierre Léaud), Weekend (1968) und Le gai savoir (1969) kehrt Godard in den Folgejahren noch dreimal in den Wettbewerb der Berlinale zurück.