Berlinale Series

26.01.2021
Berlinale Series 2021: Toxische Antihelden, Utopien von Freiheit

In einem ungewöhnlichen Jahr besteht die Auswahl von Berlinale Series aus sechs Titeln, die mit extremen Ausschlägen in der formalen Gestaltung und Themenwahl ein Spiegel unserer Zeit sind. Zum ersten Mal bei Berlinale Series vertreten sind gleich zwei Miniserien aus Lateinamerika, die argentinische HBO-Produktion Entre hombres und Os últimos dias de Gilda aus Brasilien. Mit Philly D.A., einer US-Produktion des Oscar-nominierten Duos Josh Penn und Michael Gottwald, wurde die erste Dokumentarserie ins Programm eingeladen.

Die Serienmacher*innen blicken unvoreingenommen und genau auf ihre Figuren und Milieus. Kollektive Traumata der jüngeren Vergangenheit werden verhandelt, soziale Schichten und deren Bedeutung für das individuelle Schicksal hinterfragt. Gleichzeitig zeigt sich ein Bild der Polarisierung: Die unbedingte Notwendigkeit zur (politischen) Positionierung, zur Verortung in abgrenzenden Wertesystemen bedeutet sowohl Hoffnung auf Veränderung als auch die Gefahr von Eskalation.

Entre hombres, ein moderner Klassiker in vier Episoden mit atemberaubendem Timing von Regisseur Pablo Fendrik, zeigt die titelgebende Männerwelt in ihren brutalsten Facetten: als Spiel mit Gewalt, Ekel und Macht. Die Hommage an die Ästhetik der 1990er Jahre zelebriert und hinterfragt gleichzeitig das gewählte Genre und die Welt, die sie abbildet. David Schalko führt mit seiner zweiten Serie bei Berlinale Series, Ich und die Anderen, durch diverse Meta-Bewusstseinsebenen eines Werbe-Hipsters und seiner durchgeknallten Künstlerfamilie (im Ensemblecast: Tom Schilling, Sophie Rois, Martin Wuttke, Lars Eidinger, Katharina Schüttler). Um ein unbekanntes, tödliches Virus, das sich weltweit ausbreitet, geht es in It’s a Sin. Russell T Davies' berührende Miniserie über eine unwiderstehliche Freundesgruppe und die Anfänge von HIV im London der 1980er Jahre weckt in der aktuellen Situation traurige Assoziationen.

Der Bürgerrechtler Larry Krasner hat sich in Philly D.A. nichts Geringeres vorgenommen als die Umwälzung des Rechtssystems, das er für die massenhafte Verurteilung vor allem Schwarzer Angeklagter in Philadelphia verantwortlich macht. Seine Wahl zum District Attorney scheint zunächst unwahrscheinlich, wird jedoch zum Triumph. Die Creators Ted Passon, Yoni Brook und Nicole Salazar begleiten Krasner bei ersten Erfolgen, Widerständen und Niederlagen und porträtieren ihn mit beeindruckender Beiläufigkeit. Snöänglar von Creator Mette Heeno (Berlinale Series 2016: Splitting up together), eine düstere Sozio-Crime-Studie in matten Weißtönen, kommt aus Schweden und Dänemark. Die komplexe Geschichte um das Verschwinden eines Säuglings ist fesselnd, vielschichtig und konfrontiert die Zuschauer*innen mit eigenen Familienbildern und Vorstellungen von Mutterschaft. In jedem Sinne einzigartig ist die vierteilige Serie Os últimos dias de Gilda von Gustavo Pizzi. Die warme, physische, lustvolle Darstellung seiner Titelheldin, gespielt von Karine Teles, ist ein Statement für persönliche Freiheit inmitten einer Umgebung voller Bedrohung und Zensur.

Entre hombres (Amongst Men)
Argentinien
Regie: Pablo Fendrik
mit Gabriel Goity, Nicolás Furtado, Diego Velázquez, Diego Cremonesi, Claudio Rissi
Broadcaster: HBO
4 Episoden à 60’

Ein VHS-Mitschnitt einer Orgie mit Senatorenbeteiligung und tragischem Ende löst eine Verkettung von Ereignissen aus und mündet in Tod, Zerstörung und Wahnsinn. Die Unterwelt von Buenos Aires im Jahre 1996 wird regiert von Gangs und korrupten Polizisten.

Ich und die Anderen (Me and the Others)
Österreich, Deutschland
Creator: David Schalko
Regie: David Schalko
mit Tom Schilling, Lars Eidinger, Katharina Schüttler, Sophie Rois, Mavie Hörbiger, Martin Wuttke
Broadcaster: Sky
6 Episoden à 40’

In welchem Verhältnis stehen „Ich“ und „die Anderen“ zueinander und was würde sich verändern, wenn man die Spielregeln nach Belieben definieren dürfte? David Schalkos irrwitzige Satire geht diesen Fragen mit messerscharfen Dialogen und Lust an der Eskalation nach.

It’s a Sin
Vereinigtes Königreich
Creator: Russell T Davies
Showrunner: Russell T Davies, Nicola Shindler
Regie: Peter Hoar
mit Olly Alexander, Neil Patrick Harris, Stephen Fry, Keeley Hawes, Nathaniel Curtis, Lydia West, Callum Scott Howells, Omari Douglas
Broadcaster: Channel 4, HBO Max und All3Media International
5 Episoden à 48’

In den frühen 1980er Jahren findet sich in London eine Gruppe queerer junger Männer. Sie alle sind auf der Suche nach sich selbst und einer Zukunft voller Freiheit und Liebe. Doch der Beginn der Aids-Krise konfrontiert sie mit harten Realitäten.

Os últimos dias de Gilda (The Last Days of Gilda)
Brasilien
Creator: Gustavo Pizzi
Regie: Gustavo Pizzi
mit Karine Teles, Julia Stockler, Antonio Saboia, Ana Carbatti, Lucas Gouvêa
Broadcaster: Canal Brasil
4 Episoden à 30’

Gilda liebt das Kochen, die Männer und das Leben. Doch ihren engstirnigen und religiösen Nachbar*innen ist die selbstbewusste, unabhängige Frau, die in ihrem Garten Schweine schlachtet und mehr als einen Liebhaber hat, zunehmend ein Dorn im Auge.

Philly D.A.
USA
Creators: Ted Passon, Yoni Brook, Nicole Salazar
Regie: Ted Passon, Yoni Brook
mit Larry Krasner
8 Episoden à 54’
Dokumentarische Form

Mit seinem Versprechen, die Strafverfolgung zu reformieren und die Zahl der einsitzenden Häftlinge zu reduzieren, wird der progressive Larry Krasner Ende 2017 zum Bezirksstaatsanwalt von Philadelphia gewählt. Doch seine Vorhaben stoßen auch auf Widerstand.

Snöänglar (Snow Angels)
Schweden, Dänemark
Creator: Mette Heeno
Regie: Anna Zackrisson
mit Josefin Asplund, Eva Melander, Maria Rossing, Ardalan Esmaili, Cecilia Nilsson
Broadcaster: SVT, DR
6 Episoden à 58’

Das Verschwinden eines fünf Wochen alten Babys in der Weihnachtszeit stürzt dessen Mutter Jenni in Verzweiflung und ruft die Polizistin Alice auf den Plan. Die beiden sind nicht die einzigen, deren Leben dieser Fall berührt.


Presseabteilung
26. Januar 2021


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