On Rosalind Russell

Dieser Text von Carlo Chatrian ist im Moment nur in englischer Sprache verfügbar. Die deutsche Übersetzung folgt in Kürze.

Design for Scandal von Norman Taurog

Rosalind Russell, aufgewachsen in einer irisch-katholischen Familie in Connectitut, verkörpert das Ideal der modernen, selbstbewussten Frau, die ihren Platz in der Gesellschaft (und am Filmset) zu finden weiß, ohne die etablierte Ordnung umzustürzen. Sie arbeitete als Model, trat als Schauspielerin am Broadway auf und kam in den 1930er Jahren nach Hollywood. Dort war sie zunächst bei Universal unter Vertrag und wechselte später zu Metro-Goldwyn-Mayer, wo ihr bessere Arbeitsbedingungen geboten wurden. Ihr Image und ihre Rollen behielten aber oft einen Bezug zur dynamischen Geschäftswelt der Ostküste.

In den 1930er Jahren, die filmisch im Zeichen der Komödie standen, verlieh Russell den Blicken und Bewegungen ihrer Figuren nicht nur Charme und natürliche Eleganz, sondern auch ihre Fähigkeit, sich mit Worten auszudrücken. Das Kino lotete damals die narrativen und rhythmischen Möglichkeiten des Dialogs aus. Dabei rettete es etwas von der Prägnanz des Stummfilms in den Kontext des Tonfilms hinüber, in dem der Rhythmus durch den verbalen Schlagabtausch vorgegeben wird. Dadurch werden schauspielerisch feinere und vielseitigere Nuancen möglich, und in dieser Hinsicht wirkte Rosalind Russell – weit mehr als einige ihrer berühmteren Kolleginnen – auf Jahre hinaus stilbildend.

Mit seinem Erzählkanon ging das amerikanische Kino in den 1930er Jahren immer enger auf Tuchfühlung mit der kollektiven Imagination. Beinahe industriell wurden Rollenmodelle produziert, die dazu angetan waren, den Lebensstil des Publikums zu beeinflussen. Im Spannungsfeld zwischen progressivem Elan und spießbürgerlicher Beharrung bildeten sich neue gesellschaftliche Charaktere und andere Männer- und Frauenfiguren heraus. Rosalind Russell konnte weder auf eine Bombenfigur noch auf atemberaubende Schönheit bauen (Schönheit hatte bei ihr allerdings eine vielschichtige Bedeutung; Russell hatte ganz klare Vorstellungen, wie ihre Figur auf der Leinwand erscheinen sollte) und verkörperte ein Frauenbild, mit dem die Zuschauenden sich leichter identifizieren konnten. Was sofort ins Auge springt, ist die Hingabe, mit der sie den von ihnen gespielten Personen charakterisiert: Russell vermittelt das Gefühl, dass ihre Figuren auch dann lebendig sind, wenn sie nicht von der Kamera eingefangen werden, und dass sie besser als andere wissen, wie das Leben läuft. Insgesamt präsentiert die Retrospektive ein Kaleidoskop von Charakteren, die alles andere als Nebenfiguren sind und denen es oft gelingt, mit unerbittlichen Pointen Rollenbilder infrage zu stellen.

Mit Fred MacMurray in Take a Letter, Darling

Russell konnte oder wollte es nicht auf Konflikte mit den Filmstudios ankommen lassen, um mehr Auftrittszeit für sich herauszuschlagen, doch sie fand andere Mittel und Wege, ihre Figuren aus deren subalterner Ausgangslage zu befreien. Mit ihrer Kleidung etwa vermittelt sie wirkungsvoll das Bild einer kultivierten und bezaubernden, aber auch beschäftigten, aktiven und unabhängigen Frau – weit entfernt vom Verführungsmodus des frivolen Püppchens oder der Dark Lady. Russell trug jedes Kleid so, als sei es ihr auf den Leib geschneidert, das Abendkleid ebenso wie die Arbeitsmontur oder gar den Trainingsanzug. Auch wenn ihr Körper sich den Imperativen der Komödie fügt, büßt er nichts von seiner Eleganz ein – das gilt für The Women (George Cukor, USA 1939), aber auch für den weniger bekannten Film No Time For Comedy (William Keighley, USA 1940), in dem Russell häufig in Weiß gekleidet ist und gegenüber dem schlaksigen, etwas unbeholfenen James Stewart etwas Aristokratisches ausstrahlt.

Die Sphäre, in der die neue Frauenrolle Kontur gewinnt, ist ohne Zweifel der Dialog; in diesem Punkt ist und bleibt His Girl Friday (Howard Hawks, USA 1940) unschlagbar. Doch der grandiose und in mancher Hinsicht einzigartige Film von Howard Hawks wäre nicht vorstellbar ohne die stückweise, in vielen vergessenen Filmen der 1930er Jahre betriebenen Demontage des Bildes von der Frau, die dem Mann untertan ist. Russell war bekanntlich nicht die erste Wahl für die Rolle der Journalistin Hildy Johnson, aber wer den Film heute sieht, kann sich gar nicht vorstellen, dass diese Rolle von einer anderen Darstellerin hätte gespielt werden können – sie wirkt so, als wäre sie ihr auf den Leib geschrieben worden. Das Rede- und Aktionstempo der Journalistin ist die exakte Entsprechung zu der Sicherheit, die die Schauspielerin in vielen Filmen gewonnen hat, in denen ihr noch weniger Platz und Zeit zugestanden wurden – im Verhältnis zur Menge der Informationen, die sie vermitteln wollte.

Mit Cary Grant in His Girl Friday

„Die Szene zu filmen, ist meiner Meinung nach das Einfachste. Sich auf die Szene vorbereiten, probend bis zu ihrem Kern vordringen und versuchen, ihr Sinn und Frische zu geben, damit der andere Schauspieler zu dir in Beziehung gehen kann und glaubt, dass du seine Mutter oder Ehefrau oder Schwester bist, statt nur Textzeilen zu rezitieren; das ist die eigentliche schauspielerische Arbeit. Jeder Schauspieler, mit dem du spielst, hilft dir oder tut dir weh – etwas Drittes gibt es nicht. Es ist wie beim Tennis: Du kannst weder alleine noch mit einem toten Ball spielen; viele Filme scheitern direkt am Set und nicht am Drehbuch, wo sie angeblich ihren Anfang nehmen.“ (Aus Rosalind Russell: Life is a Banquet)

Spielen ist – vor allem bei der Komödie – auch ein Austausch von Text und Positionen zwischen den Szenenpartnern. Das Tempo halten, die Bälle variieren, den entscheidenden Schlag vorbereiten. Während einem bei Mae West eher der Boxring in den Sinn kommt, passt die Tennismetapher perfekt auf Rosalind Russell. Ihre Basis ist ein solides Grundlinienspiel, aus dem sie plötzlich beschleunigt, ans Netz sprintet und die kurzen Bälle anschneidet.

Unabhängig von den durch die Story vorgegebenen Rollen ist fast immer sie diejenige, die den Ballwechsel bestimmt, das Tempo angibt – zum Beispiel in dem Film Hired Wife (William A. Seiter, USA 1940), in dem sie eine Sekretärin spielt und sich davon nicht hindern lässt, zum wahren Deus ex Machina des Films zu werden. Danach war es nicht verwunderlich, dass ihr in Take a Letter, Darling (Mitchell Leisen, USA 1942) endlich die Rolle einer umtriebigen Geschäftsfrau angetragen wurde. Damit wurde – wenn auch nur im Film – die Stabübergabe endlich offiziell vollzogen.

Carlo Chatrian