MS: Až přijde válka ist ein Beispiel für den neuen Nationalismus, den konservativen Backlash, der auf globaler Ebene zu beobachten ist. Viele Filme im Programm zeigen die Auswirkungen dieser Denkart und was der Wandel für Frauen, queere Menschen und generell Menschen, die sich nicht der Norm anpassen wollen, bedeutet.
Der Aufschwung der Rechten ist verknüpft mit dem Verfall der Linken. Ist Hotel Jugoslavija ein Film, der sich mit diesem Niedergang beschäftigt?
MS: Der Regisseur Nicolas Wagnières ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Seine Mutter kommt aus Serbien, deshalb war er als Kind oft dort. Das titelgebende Hotel Jugoslavija steht repräsentativ für die Zeit vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, wurde aber auch während des Bürgerkriegs genutzt und wird so zum Symbol für die wechselnden politischen Zeiten. Wagnières nutzt Archivmaterial und Voice-Over für eine konzentrierte und sehr persönliche Reflektion über den Zerfall Jugoslawiens.
PL: In Interviews sprechen die Hotelangestellten über die Vergangenheit, aber auch die Gegenwart. Sie sind Zeugen des gesellschaftlichen und politischen Wandels. Mitunter scheint eine gewisse Nostalgie durch, eine Sehnsucht nach dem früheren Gemeinschaftsgefühl vor der Privatisierung des Hotels. Mit dem Kapitalismus und dem Bürgerkrieg ging die Menschlichkeit verloren. Unter dem Eindruck des Verfalls der Linken werden „die alten Zeiten“ schnell romantisiert, das findet sich auch in Je vois rouge (I See Red People), in dem die Filmemacherin Bojina Panayotova ihre Eltern nach ihren bulgarischen Wurzeln fragt. Bis zu ihrem 30. Lebensjahr dachte sie, dass der Kommunismus die versprochene Utopie und ihre Kindheit in Bulgarien wunderschön war. Dann beginnt sie nachzufragen, es kommt zu extremen Konflikten mit ihren Eltern und die Wahrheit über ihre Vergangenheit kommt ans Licht. In beiden Filmen bündelt der Blick zurück mitunter die Energie und verhindert, dass im Heute gehandelt wird. Auch wenn der Blick in die Geschichte natürlich die Voraussetzung für den Blick in die Zukunft und eine Frage der Identität ist, kann er hemmend wirken.