Können Sie zu Beginn den historischen Rahmen der diesjährigen Retrospektive skizzieren? Und wie stellt sich die Situation im geteilten Deutschland Mitte der 1960er Jahre für die Filmschaffenden dar?
Diese beiden Entwicklungen sind zunächst einmal getrennt voneinander zu betrachten. Künstlerisch wurden sowohl in Ost- als auch in Westeuropa in den 1960er Jahren neue Wege beschritten: in Frankreich durch die Filmemacher der Nouvelle Vague, die einen großen Einfluss auf das westdeutsche Kino hatten, in Osteuropa durch Regisseure wie Andrzej Wajda und Roman Polanski in Polen oder Miloš Forman in der Tschechoslowakei, deren frühe Filme den „Neuen Wellen“ zuzurechnen sind. Auf diese Impulse zur Erneuerung der filmischen Artikulation reagierten Filmemacher in Ost und West auf ihre jeweils eigene Weise. In der Bundesrepublik mit der Distanzierung vom konventionellen Erzählkino, wie sie im Oberhausener Manifest von 1962 zum Ausdruck kam. In einer Umfrage der Filmwissenschaftlichen Mitteilungen gaben 1965 viele DEFA-Regisseure und Autoren ihre Faszination für die „Neuen Wellen“ Osteuropas zu erkennen. Und ein Film wie Konrad Wolfs Der geteilte Himmel (DDR 1964) knüpfte eben daran mit großer Virtuosität an.
Politisch prägte der Bau der Mauer 1961 die Vorgeschichte. Die Illusion, nun die Probleme des eigenen Landes ungeschminkt thematisieren zu können, zerstob jedoch schnell. Mit dem 11. Plenum des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Dezember 1965 wurde deutlich, dass Reformen innerhalb des Systems nicht möglich waren und authentische Gegenwartsfilme künftig keine Chance mehr haben würden.
Doch bevor das Jahr 1966 zu einem Wendepunkt werden sollte, einte eine Aufbruchstimmung die Filmschaffenden in West und Ost und es gab viele künstlerische Gemeinsamkeiten ...
Der parallele Aufbruch zu Neuem war den Zeitgenossen so natürlich nicht bewusst. Er lässt sich nur noch in der retrospektiven Zusammenschau des Filmjahres 1966 entdecken. Denn einerseits war die Kenntnis des Filmschaffens im jeweils anderen Teil Deutschlands aufgrund der Importpolitik in Ost und West sehr gering. Andererseits blieb der Aufbruch im Filmschaffen der DDR sogar für das eigene Kinopublikum unsichtbar, da diese Filme verboten wurden und bis 1990 nicht zu sehen waren.