Orchard Street

Es war 1955 und manchmal unterstützte mich Alan Becker. Mein erster Film – eine Wiederannäherung an das jüdische Leben meiner Kindheit, das damals die Straße erfüllte. Zunächst sollte der Film eine gute halbe Stunde lang sein, doch mir wurde gesagt, niemand werde einen Dokumentarfilm zur Aufführung bringen, der länger als 12 Minuten sei. Also kürzte ich – mittelloser und hungriger junger Künstler, der ich war – den Film herunter. Doch es gab kein Gramm Fett zuviel an ihm und so stießen die Schnitte tief in Muskeln und Knochen. Danach, als die grausame Tat vollbracht war, hasste ich mich dafür und tat nichts mit dem Film.
Eine Verlobung wurde aufgelöst – sie zog nach Westen und tat sich mit Christopher MacLaine zusammen – und mitten in meinem finanziellen freien Fall begann ich mit der Arbeit an Star Spangled to Death (1956-1959), in dem Jack Smith und Jerry Sims mitspielten. Doch die beiden leidlich günstigeren Kurzfilme Little Stabs at Happiness und Blonde Cobra kamen früher heraus.
2014: Nach gelegentlichen Vorführungen des Desasters der ersten Version und mit meiner Tochter Nini am Computer entstand in luxuriöser Stille eine Rückkehr zum Original.
Damals war ich oft mit meiner Bell and Howell 16mm 70DL Kamera auf der Straße unterwegs und niemandem machte es etwas aus. Manche fragten, auf welchem Sender sie sich sehen könnten und ich erklärte dann, ich sei „unabhängiger Filmemacher“, sprich: Nichtsnutz mit Kamera. Umwerfend, wie das Kodachrome Filmmaterial die Stimmung jener Zeit bewahrt.
Verzeiht mir, dass ich Euch enttäuscht habe, ihr lieben Leute aus der Orchard Street von vor über einem halben Jahrhundert: Ihr wart wundervoll! Übrigens, das küssende Paar: sie arbeitet auf der Straße und brachte das auch rüber... und der sie küsst, das bin ich. (Ken Jacobs)
von Ken Jacobs USA 1955/2015 27’