Bei all der Schönheit des Augenblicks darf man die Situation, in der diese Preisverleihung stattfand, nicht vergessen. Sie machte den Hauptpreis für einen Filmemacher, der unter den Repressalien eines Regimes, das ihn mundtot sehen will, seit Jahren zu leiden hat, noch einmal ganz besonders und zu einem „wichtigen Signal gegen die Beschränkung der Kunst“ (Andreas Borcholte, Spiegel Online, 14.02.2015): Am 7. Januar 2015 hatten Islamisten die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo in einem Blutbad nahezu ausradiert, am Tag der Bären-Verleihung selbst schoss ein Mann auf ein Café in Kopenhagen, in dem eine Podiumsdiskussion zum Thema „Kunst, Gotteslästerung und Freie Rede“ stattfand. Die Trennung zwischen Kino und der wirklichen Welt war brüchig wie nie. Und so mahnte Festivaldirektor Dieter Kosslick bei der Verleihung der Preise der unabhängigen Jurys am Nachmittag des 14. Februar das Außen, die Realitäten jenseits des Festivaltrubels, nicht zu vergessen: „Mutige, ja zornige Worte findet er bei seiner kurzen Ansprache für den Zusammenhang zwischen dem Planeten Berlinale und dem Rest der Welt. Dafür, dass das Festival nur etwas taugt, wenn das eine mit dem anderen etwas zu tun hat“ (Marie Rövekamp, Tilman Strasser, Der Tagesspiegel, 14.02.2015). Kosslick hatte im November erst sein Engagement bis 2019 verlängert, wirkte befreit und gab schon zur Eröffnung keck das Versprechen, dass er ab jetzt nur noch gute Filme zeige, weil das vertraglich so festgelegt worden sei. Er sollte Recht behalten.
Kompromissloser Sinn für Qualität
Denn 2015 stimmte einfach alles. Kunst küsst Kino küsst Politik. Starke Themen, in noch stärkere Filme gepackt: „Diesmal verblüffte der Wettbewerb mit einem bemerkenswert vielschichtigen, vielstimmigen Programm. Es gab die Auseinandersetzung mit Freiheit, Missbrauch, sexueller Unterdrückung, Ausbeutung – hochpolitisch alles. Aber dennoch lag man als Dauergast nicht irgendwann bleischwer im Kinosessel. Bemerkenswert war die Subtilität in der Umsetzung, das Kunstvolle und mitunter sogar Komische“ (Wenke Husmann, Die Zeit, 15.02.2015).