Welchen Anteil würden Sie Sven Nykvist an der Bildgestaltung beimessen?
Letztlich ist der Kameramann für das Bild verantwortlich. Man kann das sehr gut in den Dokumentationen von Bergmans Freund Stig Björkman beobachten. Bergman guckt oft durch die Kamera und will auch wissen, wie das Bild aussieht, aber die endgültige Gestaltung, das Licht, die Schärfe, das kommt natürlich von Sven Nykvist oder – in früheren Filmen – von Gunnar Fischer. Bei dieser Form arbeitsteiliger Produktion ist man eben so gut, wie man als Team funktioniert, und das merkt man den Filmen auch an.
Wenn ich das richtig verstehe, sind die Dokumentarfilme von Stig Björkman weniger Momentaufnahmen als das Ergebnis eines längeren Begleitprozesses?
Björkman hat als Weggefährte Bergmans dessen Arbeit über einen langen Zeitraum beobachtet. Er dokumentierte die Vorbereitung und die Dreharbeiten zu Beröringen und drehte zusätzlich lange Interviewsequenzen mit Bergman, die in Ingmar Bergman (Stig Björkman, 1970-72) zu sehen sind. 2009 und 2010 realisierte er Bilder från lekstugan (Bilder aus der Spielstube) und ...men filmen är min älskarinnad (... aber der Film ist meine Geliebte). Diese beiden Kompilationen basieren auf dem umfangreichen „Behind the scenes“-Material, das Bergman und sein Team über viele Jahre mit einer 9,5-mm- bzw. 16-mm-Kamera während der Dreharbeiten aufgenommen haben. Aufgrund der außergewöhnlichen Nähe sind diese Aufnahmen in einer sehr freien Atmosphäre entstanden und haben oft die Anmutung von Home Movies - ganz anders als heutige „Making of“-Produktionen, die in der Regel von den jeweiligen Produktionsfirmen kontrolliert werden. Bergman hat dieses Material sogar gelegentlich eingesetzt, um seine Filme zu bewerben – auch Beispiele dafür zeigen wir in der Retrospektive. Mit Hilfe der World Cinema Foundation konnte das Material restauriert werden und ist nun in Björkmans Kompilationsfilmen erstmals auch einem breiten Publikum zugänglich.
Ingmar Bergman lässt sich ja zweifelsfrei in einem europäischen Kontext verorten. Sehen sie bei ihm auch Tendenzen, die über diesen Horizont hinausweisen?
Ich glaube, dass er in der Tat ein sehr europäischer Filmemacher ist, gerade in der Art und Weise, wie bestimmte theatralische, literarische und bildnerisch-künstlerische Motive in seinen Filmen zum Tragen kommen. Aber er ist ein europäischer Filmemacher, der nicht umsonst mehrmals für den Oscar nominiert war und ihn zweimal gewonnen hat. Trotzdem hat er zum amerikanischen Kino immer eine gewisse Distanz gewahrt. Zwar hat er mit seinen amerikanischen Agenten den US-Markt sondiert. Letztlich wurde ihm aber bei keinem der angebotenen Projekte die künstlerische Freiheit garantiert, die für ihn unabdingbare Vorraussetzung seiner Arbeit war.
Kreatives Zentrum, ökonomische Arbeitsweise
Im Vergleich zum amerikanischen Kino fällt einem gleich die wirtschaftliche Ebene ins Auge. Auf der einen Seite hat Bergman ja schon relativ früh das machen können, was er machen wollte als Autor, auf der anderen Seite hat er meines Erachtens nie besonders große Produktionsbudgets für seine Filme gehabt. Liegt ein Geheimnis also vielleicht auch in der Reduktion nicht nur stilistischer, sondern auch finanzieller Mittel?
Bergman hat seine ersten Filme für die Svensk Filmindustri gemacht, und mehr als 30 seiner rund 40 Kinofilme sind von ihr (mit-)produziert. Künstlerischer Berater für seine ersten beiden Werke dort, Hets (Die Hörige; Drehbuch und Regieassistenz) und Kris (Krise), war Victor Sjöström. Der große Stummfilmregisseur beeinflusste und förderte Bergman und spielte auch in zwei seiner späteren Filme mit: in Till glädje (An die Freude) und in Smultronstället (Wilde Erdbeeren). Sicher lief die Zusammenarbeit mit Svensk Filmindustri nicht immer reibungslos, und gerade in den frühen Jahren stehen verschiedene Produktionsfirmen hinter Bergmans Filmen. Im Grunde aber war Bergman während seiner gesamten Laufbahn stets DAS kreative Zentrum seiner Filme, und das ist natürlich eine privilegierte Situation, die nicht viele Filmemacher erleben. Diese Frage ist vielleicht wichtiger als die nach Produktionsbudgets. Gleichwohl ist Bergmans Arbeitsweise sicher sehr ökonomisch, weil er dem, was er machte, nichts hinzufügen musste. Seine Kamerabewegungen sind Kamerabewegungen, die er machen wollte, aber keine, die das Sujet aufpeppen sollten. Er muss auch nicht unendlich viele Takes drehen oder die gleiche Szene aus sehr vielen verschiedenen Winkeln aufnehmen, das hat ihn alles nicht interessiert. Er war jeweils sehr nah an dem Kern seiner Geschichten, und den wollte er zeigen.
Ab den späten 70er Jahren war Bergman mit seiner eigenen Firma Cinematograph Ko-Produzent seiner Filme. Mit Cinematograph produzierte er auch seine einzigen beiden Dokumentarfilme: Fårö-dokument (1969) und Fårö-dokument 1979. Diese beiden Filme über die Bewohner der Insel Fårö sind eine liebevolle Hommage und gleichzeitig eine kritische Auseinandersetzung mit dem Leben auf einer abgeschiedenen Insel, die für viele Jahre Bergmans Wahlheimat war. Ingmar Bergman als Dokumentarfilmregisseur war auch für uns eine Entdeckung.
Was meinten die jungen Filmkritiker und späteren Nouvelle-Vague-Regisseure mit der Beschreibung Bergmans als „Klassiker der Moderne“?
Als die Nouvelle Vague anfing, hatte Bergman ja schon seine ersten Preise eingeheimst, und zwar bei allen drei großen Festivals in Cannes, in Venedig und in Berlin, wo er für Wilde Erdbeeren mit dem Goldenen Bären den ersten ganz großen Preis bekommen hat. Als diese jungen Filmenthusiasten sich also anschickten, das herkömmliche Kino der Qualität - dieses behäbige, konventionelle und auch unendlich seriöse Kino - aus seinen Grundfesten zu reißen, hatte Bergman diese Revolution für sich in einem ganz anderen Kontext schon längst vollzogen. Aus diesem Grund konnte er auch, relativ unbehelligt von den Umbrüchen, so weitermachen wie vorher und musste seine Art des Filmemachens im Grunde nicht ändern. Durch seine Filme hat er sich großen Respekt erworben, auch und gerade bei diesen Rebellen, die seine Filme liebten und bewunderten. Wenn wir also nun aus der Gegenwart auf sein Werk zurückblicken, lässt sich bedenkenlos sagen, dass Bergman zu den großen Künstlern des 20. Jahrhunderts gehört, dass er in diesem Sinne ein Klassiker der Moderne ist.