Ähnlich verhält es sich mit der großen Feministin Catherine Breillat, die 1980 in unserem ersten Jahr ihren Film Tapage Nocturne mit Joe Dallesandro zeigte und dieses Jahr mit ihrem neuen Film über Barbe bleue (Blaubart) vertreten ist. Dallesandro wiederum kommt nach Berlin mit dem neuen Portraitfilm Little Joe. Die Querverbindungen betreffen also nicht nur die queere Thematik, sondern verknüpfen sich hier mit der feministischen Welt. Zwei Dinge, die Hand in Hand betrachtet werden können, was immer gewinnbringend für eine emanzipatorische Sichtweise und Analyse ist.
Das zweite Jubiläum, das die Sektion feiert, ist das 10-jährige Bestehen des PanoramaPublikumsPreises PPP. Die Auszeichnung ist zu einer regelrechten Instanz geworden, die unter Filmemachern ein hohes Ansehen genießt. Dieses Jahr werden alle bisherigen Gewinnerfilme gezeigt. So nebeneinander betrachtet, lässt sich da eine Entwicklungslinie ausmachen?
Nicht direkt. Aber interessant ist, welche Filme tatsächlich gewonnen haben. Gerade angesichts der Konkurrenzfilme erstaunen manche Ergebnisse. Da gab es mehrere Dokumentarfilme, die sich gegen Spielfilme durchgesetzt haben, obwohl sie sehr spezielle oder schwierige Themen behandeln. Das zeigt, was diese Stadt für ein Publikum hat, welches letztendlich auch das Spezifische des Festivals ausmacht. Die Zuschauer fordern nicht unbedingt leicht Konsumierbares, sondern setzen sich gern mit jeder Art von Inhalten auseinander. Ein solches Publikum als Perspektive für unsere Filme macht auch einen Teil des Vergnügens meiner Festivalarbeit aus.
Vision des Radikalen
In einer Pressemitteilung schreibt ihr, dass das Kino wieder „radikaler, wagemutiger und inspirierter“ zu werden verspricht. Das heißt ja auch, Independent-Produktionen im Vorteil zu sehen. Wo finden sich diese Attribute im Programm wieder?
Das Mittelfeld der Filmproduktionslandschaft wird durch die derzeitige Wirtschaftslage stark in Mitleidenschaft gezogen. Gerade in der entsprechenden Arthouse-Sparte, die eine Menge gut gemachter Filme hervorgebracht hat, wird es einige Einschnitte geben. Wirklich unabhängige Projekte sind dagegen durch die verschärften wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weniger betroffen. Wir hoffen nun natürlich, dass sich hier diese Vision des Radikalen zeigen wird. Damit meinen wir aber nicht zwangsläufig eine nächste Generation von Filmemachern. Die Vision können genauso gut Regisseure erfüllen, die schon lange auf dieser Ebene arbeiten. Catherine Breillat gehört dazu, aber auch John Greyson aus Kanada, der schon häufiger bei uns war. Sein diesjähriger Beitrag Fig Trees ist ein äußerst anspruchsvolles Werk, politisch und ästhetisch absolut innovativ. Das braucht die Filmlandschaft wirklich dringend: Filmsprache weiterzuentwickeln, ihr eine Basis und einen Hintergrund zu geben.
Ein Vertreter der nächsten Generation ist beispielsweise Panos Koutras aus Griechenland mit seinem Film Strella. Mehr als die meisten anderen griechischen Filmemacher ist er mit seiner Generation, vor allem aber mit ihrem Lebensgefühl des Aufbegehrens verbunden. Seinem Film liegt interessanterweise eine ganz klassische, eng an der griechischen Tragödie orientierte Erzählstruktur zugrunde, aber mit einem sehr modernen Ende. Strella ist ein gutes Beispiel, Geschichte einerseits im großen Zusammenhang, andererseits in ihren Auswirkungen auf das eigene Leben sehen zu können. Mit seiner narrativen Form reflektiert Koutras am Ende einer traditionellen Geschichte gleichzeitig die Sicht auf ein modernes Europa.