Grenze

Borderline
Wir ahnen nur, was uns erwartet, als wir am 4. Februar 1986 dem Einberufungsbefehl ins Grenz-Ausbildungsregiment nach Halberstadt folgen. Boja, Lohengrin, Mückenfried, LSD-Wölfi und ich wissen aber, dass die Alternative für uns nicht verlockend wäre: Auf Wehrdienstverweigerung steht in der DDR Knast.
Wir lernen schnell. Grenzer zu werden, ist keine Grundausbildung wie anderswo. Man schleift uns besonders gründlich, weil es auf uns auch „besonders ankommt“ – sagen die „Sackies“ – die verhassten Offiziere. Die sagen auch, dass wir die „Garde des Proletariats“ sind: Wir sollen die Westgrenze des sozialistischen Lagers gegen jeden Angriff schützen, mit allen Mitteln. Wir hören weg, wenn wir nicht vor Erschöpfung einschlafen. Lass die Deppen reden . . .
Als wir dann an der Frontlinie des Dritten Weltkriegs irgendwo zwischen Magdeburg und Helmstedt Dienst tun, stellen wir fest, dass es zum Krieg gar keinen Gegner braucht. Und wir müssen uns dem stellen, was man eigentlich von uns erwartet. Untereinander reden wir nicht darüber, so weit geht die Kameradschaft doch nicht. Doch jeder denkt im Stillen: Quatsch mit Soße. Hier kommt keiner. Nicht bei mir.
Einer, gerade 19 geworden, setzt am 25. Februar 1987 kurz entschlossen alles auf eine Karte. Für ein paar Stunden wird der Kalte Krieg heiß: für Boja, Lohengrin, Mückenfried, LSD-Wölfi, mich und ihn, der von der totalen Freiheit träumt – und nicht vom Rechtsstaat.
Holger Jancke
von Holger Jancke Deutschland 2003 77’

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