Familienaufstellung für den deutschen Film
Der große Hammer kam zum Schluss: Der Goldene Bär an Fatih Akins raue Romanze Gegen die Wand überraschte fast alle Beobachter des Festivals. Die Entscheidung brachte der Internationalen Jury unter dem Vorsitz von Frances Mc Dormand Komplimente ein und sorgte noch Wochen später für ausgiebigen Gesprächsstoff. Internationale Kommentatoren stellten eher unaufgeregt fest, dass Gegen die Wand der richtige Film zur richtigen Zeit und daher ein würdiger Sieger sei, und verbuchten den Goldenen Bären als ein weiteres Zeichen für eine neue Blüte im deutschen Film.
In den einheimischen Feuilletons hielt das Blätterrauschen dagegen noch etwas länger an. Sportsgeister, die jegliche Auszeichnungen gerne wie Goldmedaillen feiern und jeden Film einem Land zuordnen wollen, hatten an Gegen die Wand noch eine Weile zu knabbern. „Wir sind also wieder wer – nur stellt sich die Frage wer eigentlich ‚wer’ ist“, resümiert Hanns-Georg Rodek in der „Welt“ und arbeitet sich dann an der nachträglichen Integration des Deutsch-Türken Fatih Akin ab. Und er war nicht der einzige, den an Akins Film – mit verschiedenen Motivationen – vor allem die Frage interessierte, ob und inwieweit man nun das Wörtchen „deutsch“ neu definieren müsse, in „deutscher Film“ und anderswo.
Klärend las sich da der Kommentar von Katja Nicodemus in der „Zeit“, die daran erinnerte, dass Gegen die Wand ja „nicht den Beginn, sondern den Fortgang einer Filmbewegung markiert“, die spätestens seit Mitte der Neunziger Jahre fester Bestandteil des deutschen Filmschaffens ist. Noch entspannter sah es Barbara Schweizerhof im „Freitag“. Das Schönste an Akins Film sei, „dass er eben kein Thema – und schon gar nicht das der Einwanderer nach Europa – behandelt, sondern eine Geschichte erzählt.“ So hatte es Gegen die Wand geschafft, eine Debatte über Identität und Zugehörigkeit zu entfachen, in der zwar schmerzliche und unzeitgemäße Töne mitschwangen, die aber dennoch offenbar notwendig war.