2001

51. Internationale Filmfestspiele Berlin

07. – 18. Februar 2001

„Als sei die Berlinale ein Traum, in dem hoffnungslose Dänen beim Italienischlernen zueinander finden, Michael Douglas endlich seine Tochter versteht und in der Lunge einer japanischen Frau Wasserlilien wachsen. Manchmal wandelt sich der Traum zum Albtraum, damit muss man im Kino rechnen.“ – Frank Junghänel gibt in der „Berliner Zeitung“ Einblick in ein chronisches Festival-Symptom.

Geoffrey Rush, Kate Winslet

De Hadelns Letzte: Fehlstart, Aufholjagd und Achtungserfolg

Am Ende war die Stimmung doch noch gut. Die Berlinale 2001 galt als ein durchwachsener und sperriger, gerade dadurch aber auch zeitgemäßer Jahrgang. Begonnen hatte Moritz de Hadelns letzte Berlinale allerdings mit einem Fehlstart: die französisch-deutsch-amerikanische Ko-Produktion Enemy at the Gates eröffnete das Festival und fiel bei Kritikern und Publikum gnadenlos durch. Das hochkarätig besetzte und 180 Millionen Mark schwere Stalingrad-Drama sollte Deutschland und insbesondere die Studios in Babelsberg als internationalen Produktionsstandort profilieren.

Dieser Versuch wurde jedoch von vielen Kritikern als ein unangemessenes „Wir-sind-wieder-wer“ interpretiert. Was den einheimischen Film betraf, war die Debatte ohnehin bereits angeheizt. Im Vorjahr hatte das Auswahlkomitee der Berlinale Oskar Röhlers Die Unberührbare abgelehnt, der dann in den Kinos reüssierte. Nun lief Filippos Tsitos’ deutsch-griechische Koproduktion My Sweet Home als einziger deutscher Film im Wettbewerb. Mit bitterer Ironie fragten die Kommentatoren, was man mit den vielen Millionen deutscher Fördergelder alles hätte machen können, die für Enemy at the Gates investiert worden waren…

Patrice Chéreau

Die zwei Leben des deutschen Films

Gelungene „kleine“ Filme wie Hannes Stöhrs Berlin is in Germany zum Beispiel, der den Panorama-Publikumspreis gewann, oder Angela Schanelec’ Mein langsames Leben, der im Forum lief. Hohe Budgets sind kein Garant für Qualität. In Deutschland war man es aber auch Leid, immer wieder beweisen zu müssen, wie mit wenig bis gar keinem Geld Kinofilme produziert werden können. „Kosslicks erste Aufgabe wird es sein, dem deutschen Film im Wettbewerb ein Forum zu verschaffen“, vermerkte Michael Althen in der „Süddeutschen Zeitung“. Die Schwäche - oder Nichtbeachtung - des deutschen Films blieb aber eine einheimische Diskussion.

In der internationalen Wahrnehmung überwogen andere Themen. So wurde etwa aufmerksam festgestellt, dass kaum einer der US-amerikanischen Beiträge aus den Major Studios kam. Steven Soderberghs Traffic, der dem verpatzten Auftakt einen ersten Höhepunkt folgen ließ, galt als ein zwar hochproduziertes, aber doch charakterstarkes Werk eines „Independent“-Filmers. Auch John Boormans The Tailor of Panama | Der Schneider von Panama und Mike Nichols eindringliches Drama Wit waren alles andere als schablonenhafte Hochglanzprodukte. Selbst die heftigen Diskussionen um Ridley Scotts berechnenden Schocker Hannibal drehten sich eher um die inhaltliche Frage, wie viel Gewalt die Kunst verträgt, als darum, dass hier ein Film gezeigt wurde, dem sein Kassenerfolg ohnehin bereits garantiert war.

Sex, Körperlichkeit, Intimität: Berlinale explizit

Darüber hinaus bewegte die Kommentatoren vor allem die auffallende Präsenz von Körperlichkeit, Sex und Intimität in den Filmen dieses Jahres. Während im Panorama aufmüpfige Filme wie Kirsten Sheridan’s Disco Pigs selbstverständlich sind, setzte auch der Wettbewerb mit dem Bären-Gewinner Intimacy und Catherine Breillats A Ma Soeur | Fat Girl provokante Akzente. Weitere Kritikerlieblinge waren Lucrecia Martels La Ciénaga | Der Sumpf und Lone Scherfigs Italiensk for Begyndere | Italienisch für Anfänger. Hatte Intimacy die Meinungen polarisiert, so fanden sich bei Scherfigs entspanntem „Post-Dogma-Film“ Publikum und Presse zu einem gemeinsamen Loblied ein. Die Dramaturgie im Wettbewerb stimmte, auch wenn kein Film wirklich herausragte.

Junges chinesisches Kino in einem asiatischen Schwerpunkt

Das osteuropäische Kino war im Wettbewerb jedoch kaum vertreten. Zwar landeten der Ungar Péter Gothár mit Paszport | Passport und der Slowake Martin Šulik mit Krajinka | Landschaft Achtungserfolge im Panorama, generell wurde diese Berlinale jedoch als Indiz für die problematische wirtschaftliche Lage des osteuropäischen Kinos gewertet. Umso deutlicher wurde der starke Auftritt des jungen asiatischen Kinos wahrgenommen. Im Wettbewerb und auch im Forum präsentierten sich viel versprechende Kinematografien aus China, Thailand, Japan und Korea, und dem Filmland Vietnam war im Forum eine Sonderreihe gewidmet.

Wang Xiaoshuais Großstadtballade Shi Qi Sui De Dan Che | Beijing Bicycle und Lin Cheng-shengs Ai ni ai wo | Betelnut Beauty wurden im Wettbewerb mit Preisen ausgezeichnet und stießen auf breite Anerkennung. Zu den meist beachteten Filmen im Forum zählten Kaze Shindôs Love/Juice aus Japan und Zhan tai | Plattform von Jia Zhang-ke. Der junge Filmemacher hatte kurz zuvor die erste unabhängige Produktionsfirma Chinas gegründet hatte und stand somit stellvertretend für das neue, mutige chinesische Kino. Die Berlinale hatte ihren Anspruch, eine Plattform für asiatisches Kino zu sein, überzeugend eingelöst, und die internationale Presse würdigte dies als eine wesentliche Errungenschaft Moritz de Hadelns.

Moritz de Hadelns und Ulrich Gregors Abschied

Der Abgang des Mannes, der das Festival über zwei Jahrzehnte geleitet hatte, war ebenfalls ein vorherrschendes Thema. In einem Beitrag für den „Wiesbadener Kurier“ erinnerte Gerd Klee an die oft überzogene Kritik an de Hadelns Person. „Wenn man ihn für das meist eisige oder regnerische Wetter zu Zeiten der Berlinale hätte verantwortlich machen können, man hätte sicherlich auch das getan“, bemerkte Klee kritisch, erkannte jedoch auch einen langsamen Stimmungswandel, denn selbst de Hadelns schärfste Kritiker wüssten seine Arbeit mittlerweile zu würdigen. Tatsächlich fielen die meisten Kommentare zu de Hadelns Abschied sachlich und versöhnlich aus.

Die Hommage war Kirk Douglas gewidmet.

Eine Sonderreihe „Moritz’ Favorites“ rief de Hadelns Engagement für die Berlinale und den internationalen Film noch einmal in Erinnerung: Filme, die er nach Berlin gebracht hatte und die nun von 22 Jahren Filmgeschichte erzählten. Der Erfolg, der im Laufe der Jahre eine so relative Sache geworden war, gab de Hadeln nun Recht. Er übergab ein intaktes Festival von großem internationalen Ansehen, das zudem in 2001 den Besucherrekord aus dem Vorjahr erneut übertrumpfte.

Planungssicherheit versprach die Übernahme der Berliner Festspiele GmbH in die Verantwortlichkeit des Bundes, vertreten durch den Kulturstaatsminister. Damit wurde auch die Berlinale eine „Kulturveranstaltung des Bundes in Berlin“.

Die „beiden Erikas“

Auch an der Spitze des Forums gab es in diesem Jahr einen Personalwechsel. Ulrich Gregor, der das Forum mitgegründet und geprägt hatte, übergab sein Amt ohne viel Aufsehen an den Filmjournalisten Christoph Terhechte, der seit 1997 Mitglied im Auswahlkommittee der Sektion war. Keine andere Person wurde in der öffentlichen Wahrnehmung derart mit dem Forum identifiziert wie Ulrich Gregor. Von Anfang an war das Forum aber auch eine Gemeinschaftsarbeit, die vor allem auch Erika Gregor maßgeblich mitgestaltet hatte. Das gleiche lässt sich von Erika de Hadeln sagen, die ihrem Mann sowohl an Kompetenz, als auch an Engagement für die Berlinale in nichts nachstand. Die „beiden Erikas“ waren Mitgestalterinnen des Festivals, nicht immer wurde das angemessen gewürdigt.

Die Personalwechsel verliefen jedoch kollegial und organisiert. De Hadelns Nachfolger Dieter Kosslick war bereits als stiller Beobachter auf dem Festival zugegen und wohnte den internen Besprechungen bei. Auf Nachfrage ließ er keine Gelegenheit aus, die Arbeit seines Vorgängers zu würdigen und die Erwartungshaltung an den Personalwechsel niedrig zu halten. Allenfalls müsse er „einmal das Kopfkissen aufschütteln und das Laken glatt streichen“, beschrieb Kosslick die Amtsübergabe in einem Interview. Aber selbst sein charmantes Understatement würde ihn nicht davor bewahren, zum Träger großer Erwartungen und Gegenstand ausgiebiger Spekulationen zu werden. Immerhin ließ Kosslicks Biografie ein deutliches Profil erwarten: ein Kritiker in jungen Jahren, ein Festivalmacher in Hamburg und zuletzt als Chef der Filmstiftung NRW einer der wichtigsten Akteure in der deutschen Filmförderung. Und bei alledem ein Schwabe…