Die zwei Leben des deutschen Films
Gelungene "kleine" Filme wie Hannes Stöhrs Berlin is in Germany zum Beispiel, der den Panorama-Publikumspreis gewann, oder Angela Schanelec’ Mein langsames Leben, der im Forum lief. Hohe Budgets sind kein Garant für Qualität. In Deutschland war man es aber auch Leid, immer wieder beweisen zu müssen, wie mit wenig bis gar keinem Geld Kinofilme produziert werden können. „Kosslicks erste Aufgabe wird es sein, dem deutschen Film im Wettbewerb ein Forum zu verschaffen“, vermerkte Michael Althen in der „Süddeutschen Zeitung“.Die Schwäche - oder Nichtbeachtung - des deutschen Films blieb aber eine einheimische Diskussion.
In der internationalen Wahrnehmung überwogen andere Themen. So wurde etwa aufmerksam festgestellt, dass kaum einer der US-amerikanischen Beiträge aus den Major Studios kam. Steven Soderberghs Traffic, der dem verpatzten Auftakt einen ersten Höhepunkt folgen ließ, galt als ein zwar hochproduziertes, aber doch charakterstarkes Werk eines „Independent“-Filmers. Auch John Boormans The Tailor of Panama | Der Schneider von Panama und Mike Nichols eindringliches Drama Wit waren alles andere als schablonenhafte Hochglanzprodukte. Selbst die heftigen Diskussionen um Ridley Scotts berechnenden Schocker Hannibal drehten sich eher um die inhaltliche Frage, wie viel Gewalt die Kunst verträgt, als darum, dass hier ein Film gezeigt wurde, dem sein Kassenerfolg ohnehin bereits garantiert war.
Sex, Körperlichkeit, Intimität: Berlinale explizit
Darüber hinaus bewegte die Kommentatoren vor allem die auffallende Präsenz von Körperlichkeit, Sex und Intimität in den Filmen dieses Jahres. Während im Panorama aufmüpfige Filme wie Kirsten Sheridan’s Disco Pigs selbstverständlich sind, setzte auch der Wettbewerb mit dem Bären-Gewinner Intimacy und Catherine Breillats A Ma Soeur | Fat Girl provokante Akzente. Weitere Kritikerlieblinge waren Lucrecia Martels La Ciénaga | Der Sumpf und Lone Scherfigs Italiensk for Begyndere | Italienisch für Anfänger. Hatte Intimacy die Meinungen polarisiert, so fanden sich bei Scherfigs entspanntem „Post-Dogma-Film“ Publikum und Presse zu einem gemeinsamen Loblied ein. Die Dramaturgie im Wettbewerb stimmte, auch wenn kein Film wirklich herausragte.
Junges chinesisches Kino in einem asiatischen Schwerpunkt
Das osteuropäische Kino war im Wettbewerb jedoch kaum vertreten. Zwar landeten der Ungar Péter Gothár mit Paszport | Passport und der Slowake Martin Šulik mit Krajinka | Landschaft Achtungserfolge im Panorama, generell wurde diese Berlinale jedoch als Indiz für die problematische wirtschaftliche Lage des osteuropäischen Kinos gewertet. Umso deutlicher wurde der starke Auftritt des jungen asiatischen Kinos wahrgenommen. Im Wettbewerb und auch im Forum präsentierten sich viel versprechende Kinematografien aus China, Thailand, Japan und Korea, und dem Filmland Vietnam war im Forum eine Sonderreihe gewidmet.
Wang Xiaoshuais Großstadtballade Shi Qi Sui De Dan Che | Beijing Bicycle und Lin Cheng-shengs Ai ni ai wo | Betelnut Beauty wurden im Wettbewerb mit Preisen ausgezeichnet und stießen auf breite Anerkennung. Zu den meist beachteten Filmen im Forum zählten Kaze Shindôs Love/Juice aus Japan und Zhan tai | Plattform von Jia Zhang-ke. Der junge Filmemacher hatte kurz zuvor die erste unabhängige Produktionsfirma Chinas gegründet hatte und stand somit stellvertretend für das neue, mutige chinesische Kino. Die Berlinale hatte ihren Anspruch, eine Plattform für asiatisches Kino zu sein, überzeugend eingelöst, und die internationale Presse würdigte dies als eine wesentliche Errungenschaft Moritz de Hadelns.
Moritz de Hadelns und Ulrich Gregors Abschied
Der Abgang des Mannes, der das Festival über zwei Jahrzehnte geleitet hatte, war ebenfalls ein vorherrschendes Thema. In einem Beitrag für den „Wiesbadener Kurier“ erinnerte Gerd Klee an die oft überzogene Kritik an de Hadelns Person. „Wenn man ihn für das meist eisige oder regnerische Wetter zu Zeiten der Berlinale hätte verantwortlich machen können, man hätte sicherlich auch das getan“, bemerkte Klee kritisch, erkannte jedoch auch einen langsamen Stimmungswandel, denn selbst de Hadelns schärfste Kritiker wüssten seine Arbeit mittlerweile zu würdigen. Tatsächlich fielen die meisten Kommentare zu de Hadelns Abschied sachlich und versöhnlich aus.