Ein schlechter Rat zur falschen Zeit
Der Ärger hatte sogar schon früher angefangen. Kaum war die Berlinale 1996 vorbei, ein guter Jahrgang in den Augen der meisten Beobachter, sorgte ein Diskussionspapier von Berlins Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Peter Radunski, für Aufsehen. Der Senator machte sich darin ungewöhnlich konkrete Gedanken zur Umstrukturierung des Festivals. Deutlich war der politische Wunsch, das Festival an den Potsdamer Platz zu holen. Vor allem aber die Anregung, Wettbewerb und Forum zeitlich zu trennen und gleichsam aus einem Festival zwei zu machen, hieß Salz in unverheilte Wunden zu streuen. Radunski argumentierte mit effektiverem Management und besucherfreundlichem Ablauf, verkannte jedoch völlig, dass zur unverwechselbaren Identität der Berlinale gerade die Vielfalt, die Reibung und auch die Widersprüche gehörten.
Radunskis Vorschläge kamen zur Unzeit und fanden wenig Anklang, sorgten jedoch für erhebliche Aufregung. Bald sah sich der Berliner-Festspiele-Chef Ulrich Eckhardt veranlasst, davor zu warnen, „eine Krise herbeizureden, die es nicht gibt.“ Sofern es tatsächlich Grund gegeben hatte, die Abstimmung der Sektionen untereinander kritisch zu prüfen, wurde dies durch Radunskis unglücklichen Einwurf eher verhindert, als begünstigt.
Kurz vor Beginn der Berlinale 1997 trafen sich schließlich die Verantwortlichen der Filmfestspiele mit Vertretern des debis-Konzerns, dem ein Großteil der Immobilien am Potsdamer Platz gehörte, um über den Umzug der Berlinale an den Potsdamer Platz zu beraten. Der Investor zeigte sich in den strittigen Punkten kompromissbereit, so dass Moritz de Hadeln sich am Eröffnungstag des Festivals schließlich für den Umzug aussprach. Noch am selben Tag gab das Kuratorium grünes Licht für die Verlängerung von de Hadelns Vertrag. Das war das vorläufige Ende eines ermüdenden Pokers, in dem inhaltliche Diskussionen, Berliner Befindlichkeiten, Vertragsverhandlungen, logistische Erwägungen und ökonomische Argumente bisweilen planlos zusammen geworfen wurden.
Als die 47. Internationalen Filmfestspiele begannen, war die Stimmung gedrückt. Der berechtigte Optimismus des Vorjahres war einer spürbaren Erschöpfung und Ungewissheit gewichen. Auch die Bemühungen um einzelne Wettbewerbsfilme waren frustrierend verlaufen. Die italienische Auswahl, die der Berlinale bei einer Sichtung in Rom angeboten worden war, war enttäuschend und wurde insgeheim als Affront aufgefasst. Der einzige Film, den man dann einlud, Marco Bellocchios Kleist-Verfilmung Principe di Homburg, wurde in letzter Minute zu Gunsten von Cannes zurückgezogen. Ähnlich erging es der Berlinale mit David Lynchs Lost Highway.
Im besten Alter: Das Kinderfilmfest wird 20
Nicht so wetterfühlig für die Festivalpolitik ist das Kinderfilmfest mit seinem spontanen und begeisterungsfähigen Publikum. Die Sektion wurde in diesem Jahr zwanzig und ließ sich von den Querelen der „Großen“ nicht die Party vermiesen. Zum Jubiläum wurde eine „Special Choice“ von 10 Filmen zusammengestellt, die das Kinderfilmfest geprägt hatten. Aber auch das aktuelle Programm, das unter dem Motto „Verbündete für einen Tag – Freundschaften bis ans Lebensende“ stand, konnte sich sehen lassen. Der Überraschungshit war Ian Munes The whole of the Moon | Der ganze Mond. Die kanadisch-neuseeländische Ko-Produktion erzählt von der Freundschaft zweier krebskranker Kinder und wurde von Susanne Nieder im „Tagesspiegel“ zu den „herausragenden Beiträgen“ dieser Berlinale gezählt.