Stars und großes Kino
Die Berlinale 1996 war ein Jahrgang der aufmerken und aufatmen ließ. Nachdem im Vorjahr niemand so recht glücklich gewesen war, gab es in diesem Jahr alles und von allem genug: Stars und Newcomer, große Filmkunst und kleine Geschichten, Glanz und Glamour und dabei ausreichend Stoff für leidenschaftliche Debatten.
Selten waren die Medien so glücklich mit den Stars, die das Festival in die Stadt und vor die Kameras brachten: Emma Thompson, Sally Field, Jodie Foster, Claudia Cardinale, Danny de Vito, Robert Downey Jr., Stephen Frears, Ang Lee, Paul Mazursky und Tim Robbins. John Travolta zeigte sich bei der Eröffnungsveranstaltung, Julia Roberts sorgte für Tumult, wo immer sie auftrat, und Bruce Willis gab mit seiner Band sogar ein Konzert in der Universal Music Hall.
Geliebter Feind der Kritiker: Hollywood
Hollywood lieferte in diesem Jahr aber nicht nur die Stars, sondern trug auch wesentlich zum qualitativ überzeugenden Eindruck des Wettbewerbs bei. Ang Lees Jane-Austen-Verfilmung Sense and Sensibility | Sinn und Sinnlichkeit nach einem Drehbuch der Hauptdarstellerin Emma Thompson eröffnete das Festival überaus viel versprechend. Beeindruckend, für viele herausragend, waren auch Terry Gilliams Twelve Monkeys und Tim Robbins’ Dead Man Walking. „Der Verzicht, das Geschehen vermeintlich kinogerecht aufzuladen, vielmehr in meist statischen Kameraeinstellungen sachlich der Auseinandersetzung und den Gesprächen der Beteiligten zu folgen, schafft den hohen Grad an Intensität“, schrieb Hans-Dieter Seidel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ über Dead Man Walking. Da zeigte sich ein US-amerikanisches Kino, das Mut und Reife bewies und die Fähigkeit zur Selbstkritik, die viele europäische Kritiker Hollywood allzu voreilig absprachen.
Angesichts der permanenten Kritik an „zu viel Hollywood“ auf der Berlinale erstaunt es immer wieder, dass gerade die Berlinale-Jahrgänge, in denen Hollywood Stärke zeigt, von den Kritikern am meisten beklatscht werden. Auch Harald Martenstein vom „Tagesspiegel“, der die Berlinale und vor allem Moritz de Hadeln immer wieder scharf angegriffen hatte, schlug nun versöhnlichere Töne an und meinte, einen inhaltlichen Wandel zu erkennen. Es gab starkes Kino aus Korea, Taiwan und Australien und mit Un été à la Goulette/Halk-El-Wad | Ein Sommer in La Goulette von Férid Boughedir auch nachhaltige nordafrikanische Bilder. Aber wer weiß, wie dieser Jahrgang verbucht worden wäre, hätte nicht der europäische Film gegenüber den „Rivalen“ aus Hollywood eine so gute Figur gemacht.
Andrzej Wajdas Wielki Tydzien | Karwoche, Bertrand Bliers Mon Homme, vor allem aber Bo Widerbergs eindringliche liaison dangereuse Lust och fägring stor | Schön ist die Jugendzeit waren Kritiker- und Publikumslieblinge. Selbst Dani Lavys Kammerspiel Stille Nacht wurde trotz unübersehbarer Schwächen einem insgesamt starken europäischen Jahrgang zugerechnet.
Perlen und Kultfilme in den Sektionen
Viel braucht es für einen guten Berlinale-Jahrgang und in diesem Jahr kam viel zusammen. Auch das Kinderfilmfest bot mit 14 Spiel- und 15 Kurzfilmen aus 19 Ländern ein selten vielfältiges Programm und hatte mit Chris Boulds My Friend Joe einen Hit, der weit über die Sektion hinaus von sich reden machte.