1992

42. Internationale Filmfestspiele Berlin

13. – 24. Februar 1992

„Hundert Jahre, so alt wie das Kino. Verglichen damit ist ein Festival nichts.“ – Michael Althen in der „Süddeutschen Zeitung“ über den hundertjährigen Produzenten Hal Roach, dem die Hommage gewidmet war.

Ulrich Roloff-Momin, Hans Helmut Prinzler, Hal Roach, Moritz de Hadeln

Business as usual

„Die Berlinale 1992 war schnell Geschichte“, resümiert Wolfgang Jacobsen in „50 Jahre Berlinale“ ganz im Tonfall der zeitgenössischen Kommentatoren. Es sei dem Festival nicht gelungen, die Alternativen im Dschungel der Gleichförmigkeit ins rechte Licht zu setzen, meint er. „Business as usual, gute Absicht zwar, aber das beschworene neue Profil zeigte sich noch nicht.“

In seinem Festivalvorwort benannte Moritz de Hadeln zwar der Reihe nach die wunden Punkte – die Marktlage, die Flaute im einheimischen Film, die kommerzielle Gier, das Missverhältnis von Mangel und Überfluss, der Krieg der Festivals und die Diskussion um deren Existenzberechtigung, die „neureichen Europäer“ und das „hochgeschätzte amerikanische Kino“ –, so recht konnte jedoch niemand erkennen, was diese Berlinale der „Krise“ entgegensetzte.

Die Geister scheiden sich

Als das „Star Trek“-Sequel The Undiscovered Country | Das untentdeckte Land im Rahmen der Berlinale im Zoo-Palast Premiere hatte, schieden sich die Geister: Die einen kamen in Trekkie-Kostümen und machten die Berlinale zum Karneval, die anderen schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und sahen nun vollends die Berlinale unter der Okkupation Hollywoods. Die guten Kontakte zu den US-Majors, um die andere Festivals – vor allem Cannes – die Berlinale beneideten, galten vielen Kritikern als „Ausverkauf“ der Berlinale.

Mit Naked Lunch im Wettbewerb: David Cronenberg

Die Kritik konzentrierte sich erneut auf Festivalleiter Moritz de Hadeln und ließ Ulrich Gregor weitgehend verschont. Aber die Kritiker zeigten nicht nur einen bisweilen einseitigen Blick auf die festivalinternen Verantwortlichkeiten. In der Personaldebatte wurde auch übersehen, dass der „merkwürdig indifferente Eindruck“, den das Festival dieses Jahr machte, nicht zuletzt auf strukturelle Probleme im internationalen Filmschaffen hinwies. Weltweit wachsenden Produktionszahlen standen eine immer einheitlicher werdende Stilistik und Themenwahl gegenüber. „Konformität in der Vielfalt“, nennt es Wolfgang Jacobsen - und damit war die Berlinale 1992 sozusagen „up to date“.

Einmal mehr: Pragmatismus oder Revolte?

Moritz de Hadeln argumentierte in der Diskussion um mehr oder weniger Hollywood pragmatisch: die Amerikaner gingen eben dahin, wo sie den besten Markt fänden. Und das Publikum wolle nun mal die Hollywoodware sehen, „deren einziger Fehler darin besteht, dass sie gut gemacht und gut unters Volk gebracht wird.“ Viele vermissten in diesem Pragmatismus jedoch ein eigenständiges Profil. Anstatt zu nehmen, was man bekommt – und darüber hinaus das mangelhafte Angebot zu kritisieren –, hätten sich viele Kritiker ein deutlicheres Zeichen für den künstlerisch gewagten und möglicherweise bewusst unkommerziellen Film gewünscht.

Mehr Mut zum Risiko von Seiten des Festivals, so die Vorstellung, wäre auch ein positives Signal an die Filmemacher und würde auch bei diesen den Mut stärken, sich der Verführung des Kommerzes zu entziehen. Dabei ging es um mehr als nur darum, welches die besseren Filme seien. Eine grundsätzliche Kritik besagte, dass die Machtverteilung auf dem internationalen Markt unter der amerikanischen Hegemonie aus dem Gleichgewicht zu geraten drohe – und dass sich die Berlinale dazu wenn nicht affirmativ, so doch zu unentschlossen positioniere.

William Defoe und Paul Schrader

Verlorene Liebesmüh'

Der Hinweis auf die professionelle Qualität des US-Kinos war gegen diese Kritik natürlich verlorene Liebesmüh’. Im Wettbewerb bot das US-Kino in diesem Jahr nämlich in der Tat eine Reihe packender und souverän produzierter Leinwanderlebnisse: Kenneth Branaghs Dead Again, Paul Schraders Light Sleeper, Barry Levinsons Bugsy, Martin Scorseses Cape Fear und Lawrence Kasdans Grand Canyon, den viele jedoch mit dem Goldenen Bären allerdings für überbewertet hielten. Filme, die den Zuschauer für zwei, drei Stunden in ihren Bann zogen und ihn mit dem Gefühl entließen, etwas für sein Geld bekommen zu haben. Nachhaltiger wirkte dagegen David Cronenbergs Naked Lunch, der von William S. Burroughs Romanvorlage profitierend mit einigen visuellen Überraschungsmanövern aufwartete.