Das Atomzeitalter wirft seine Schatten
Im Forum liefen Filme der georgischen Regisseure Agasi Aiwasan und Sergej Paradshanow, im Panorama vor allem Dokumentarfilme, die sich der „Wahrheit“ des real Existierenden näherten. Rolan Sergejenkos Dokumentarfilm Kolokola Tschernobylja | Die Glocken von Tschernobyl war mit Spannung erwartet worden, traf aber erst verspätet in Berlin ein und wurde dann in einer ausverkauften Sondervorführung gezeigt. Das Reaktorunglück von Tschernobyl war eines der einschneidendsten Ereignisse des Jahrzehnts und hatte der Debatte um die nukleare Bedrohung eine neue Qualität und Dringlichkeit gegeben.
Wo es bei Sergejenkos Film noch einen Zwiespalt zwischen den unmissverständlichen Bildern und einem beschwichtigenden Kommentar gab, war Peter Watkins’ The Journey der Versuch, dem Unbehagen und der Angst Worte zu geben. Über 14 Stunden dauert diese Filmreise, die den Betrachter durch fünf Kontinente, zwölf Länder und acht Sprachen führt und dabei nicht weniger leistet als eine Zustandbeschreibung der Welt im Zeitalter der globalen atomaren Bedrohung. „Watkins führt nicht nur einen an Informationen überreichen, weltumgreifenden Dialog über den Wahnsinn einer als real geltenden Perspektive: Krieg; er zeigt, dass er die Herstellung des Films selbst als eine Reise der Agitation verstand, als Werkzeug der Zwiegespräche“, schrieb Michael Kötz im „Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt“. Maßstab auch für Watkins’ spätere Arbeit ist das Reale – und das Reale hatte begonnen total zu werden.
„Ein Film, der neue Perspektiven der Filmkunst eröffnet“ sollte in Zukunft jedes Jahr auf der Berlinale preisgekrönt werden. Léos Carax’ Mauvais Sang | Böses Blut war der erste Preisträger. Im Oktober 1986 war der langjährige Festivalleiter Alfred Bauer verstorben. Der neue Preis wurde nach ihm benannt, der das Festival auf den Weg gebracht und etabliert hatte.