Vorgeschichte: Ein Festival sucht einen Leiter
Am 30. Mai 1976 war in mehreren Tageszeitungen und Fachzeitschriften die öffentliche Ausschreibung der Stelle des „Leiters der Berliner Filmfestspiele“ erschienen. Alfred Bauers Vertrag lief am 30. November 1976 altersbedingt aus und ein Aufschub seines wohlverdienten Ruhestands stand nicht ernsthaft zur Debatte.
Bis zum Stichtag hatten sich 15 Interessenten auf die Stellenausschreibung beworben, darunter Ulrich Gregor, der Leiter des Forums, Hans Borgelt, langjähriger Pressechef der Berlinale, die Journalisten Hans C. Blumenberg, Kurt Habernoll und Joe Hembus, der Regisseur Ulrich Schamoni sowie der Theaterregisseur und –intendant Rainer Antoine. Der zukünftige Leiter war jedoch noch nicht unter den ersten Bewerbern: Der Filmjournalist Wolf Donner tauchte zunächst nur als einer von sechs „Sachverständigen“ auf, die von einer „Findungskommission“ beauftragt wurden, einen Kriterienkatalog zu überprüfen, nach welchem die Bewerber begutachtet werden sollten. Diese Findungskommission war wiederum zuvor vom Kuratorium ernannt worden. Hinter der umständlichen Delegation der Zuständigkeiten lässt sich eine gewisse Unsicherheit der Verantwortlichen vermuten. Die Entscheidung wollte wohl überlegt sein, immerhin ging es um einen repräsentativen Posten.
Auf Kritik stieß zunächst die Tatsache, dass in der dreiköpfigen Findungskommission neben einem Vertreter des Bundes und des Senats nur ein Vertreter der SPIO – der Spitzenorganisation der deutschen Filmindustrie - saß. Die Filmemacher, die für das internationale Ansehen des deutschen Films dieser Zeit standen – Fassbinder, Herzog, Kluge, Lilienthal und andere – wurden jedoch nicht von der SPIO vertreten. Den zeitgenössischen deutschen Film mit in die Verantwortung zu nehmen, hätte bedeutet, die „Arbeitsgemeinschaft neuer deutscher Spielfilmproduzenten“, das „Syndikat der Filmemacher“ oder den „Filmverlag der Autoren“ am Entscheidungsprozess zu beteiligen. Dies lehnten Bund und Senat aber ab, und so drohten alte Konfliktlinien neu aufzubrechen.
Auch die Länge des Entscheidungsprozesses und dessen mangelnde Transparenz wurden bemängelt. Zudem gab es diverse, zum Teil diffamierende Versuche, für oder gegen einen bestimmten Kandidaten Partei zu ergreifen. Besonders unrühmlich tat sich dabei die "Bild"-Zeitung hervor: Nachdem von den ursprünglichen Bewerbern fünf in die engere Auswahl genommen worden waren – Antoine, Blumenberg, Borgelt, Gregor und Schamoni - lancierte das Blatt eine Diffamierungskampagne gegen Ulrich Gregor, indem sie ihn mehr oder weniger unverhohlen in die Nähe der RAF zu rücken versuchte. In der damaligen politischen Situation, die wenig später den Namen „Deutscher Herbst“ bekommen sollte, grenzte das an Rufmord.
Ein Quereinsteiger gewinnt das Rennen
Aber auch ohne derartige Auswüchse war die Besetzung der Stelle ein Politikum. Wer immer ernannt werden würde, es musste ein Kandidat sein, der in der Lage wäre, zwischen verschiedenen Begehrlichkeiten einen Konsens herzustellen. Wolf Donner wurde erst spät in die engere Wahl gezogen, was in der ohnehin aufgeladenen Situation als ungeschickter Schachzug gerügt wurde. Es sei „unzulässig, nach Schließung der Kandidatenliste einen in der gleichen Sache als Gutachter Tätigen in die engere Auswahl zu ziehen und ihn dann auch noch zum Direktor zu nominieren“, meinte der Berliner Kulturrat – der sich seinerseits für Ulrich Gregor stark machte. Nachdem das Kuratorium am 18. Februar 1976 Wolf Donner einstimmig zum neuen Festivalleiter gewählt hatte, wurde er jedoch rasch als geeigneter Kandidat für die Nachfolge Bauers akzeptiert: An Donners Kompetenz gab es keine Zweifel, er war jung und er hatte sich noch keine Feinde gemacht. „Er wird selbst bald merken, dass es gar nicht so leicht ist, vom kritischen Metier überzuwechseln ins Fach eines Festspielleiters“, bemerkte das Fachblatt „Filmecho/Filmwoche“ trocken, sprach damit aber sicher kein Geheimnis aus.