Die Konfliktlinien innerhalb des Festivals lassen sich rückblickend unschwer als Spiegelung der gesellschaftlichen Wetterlage lesen. Die Aktionen der RAF sorgten für eine allgemeine Radikalisierung auf allen Seiten: in der Presselandschaft wurde das Klima rauer, in den Debatten der Ton härter, der Hang zur Polemik nahm zu. In einem Beitrag für die „Zeit“ beschrieb der Journalist - und spätere Festivalleiter - Wolf Donner den Gegensatz zwischen Wettbewerb und Forum als eine Gewissensentscheidung zwischen „Plüsch“ oder „Politik“: „Der Unterschied ist tatsächlich eklatant: beim Wettbewerb roter Plüsch, Ankündigungen in drei Sprachen, Stars mit Blumensträußen, feine Leute und bemühte Festlichkeit – beim Forum mehr Bärte und lange Haare, Gammel-Look, eine informelle Atmosphäre, Diskussionen.“
Plüsch und Politik
Donners Zwei-Welten-Bild zeigt, dass die Zeichen der Zeit den Festivalalltag bestimmten und auch als solche wahrgenommen wurden. Noch waren die Linien zwischen Establishment und Anti-Establishment klar zu erkennen. Für eine zusätzliche Verschärfung des Gegensatzes sorgte in diesem Jahr zudem die nicht zu leugnende Schwäche des Wettbewerbsprogramms – gegenüber einer zumindest aufregenden und spannenden, in weiten Teilen hervorragenden Auswahl im Forum. Die Wettbewerbsauswahl – u.a. Filme von Peter Ustinov, Marco Ferreri, Arthur Miller, Rainer Werner Fassbinder, Zin-Uh Zeong und Pier Paolo Pasolini – wollte allzu offensichtlich einen Mittelweg gehen und fiel dabei allzu oft in Mittelmäßigkeit. Der Goldene Bär an Pasolinis I Racconti di Canterbury wurde als Verlegenheitslösung gewertet. Immerhin hatte Pasolini an anderer Stelle mehrfach sein Genie bewiesen.
Die Filme des Forums hingegen zeigten die Themen der Zeit, dokumentierten die politischen Kämpfe, erzählten persönliche Geschichten vom gescheiterten Leben, sprachen unverblümt und kompromisslos. Die Idee, einigen zeitgenössischen Filmen thematisch ähnlich gelagerte ältere Werke zur Seite zu stellen, bewies den hohen filmhistorischen und intellektuellen Anspruch des Forums und wurde positiv aufgenommen. Friedrich Luft – ein kritischer Beobachter des Festivals und berüchtigt für radikale Forderungen – plädierte dafür, den Wettbewerb kurzerhand ganz zu Gunsten des Forums abzuschaffen. Und auch die eher bedachtere Karena Niehoff wollte in diesem Jahr keine Lanze für den Wettbewerb brechen und erklärte das Forum zum „eigentlichen Sieger“ des Festivals.