Enttäuschung
Selten waren sich die Kommentatoren so einig: Die Berlinale 1962 machte niemanden glücklich. Das Programm war schwach und die Zuschauerzahlen - nicht zuletzt wegen des Fernbleibens der Ost-Besucher nach dem Bau der Mauer - stark rückläufig.
Die interne Diskussion konzentrierte sich weiterhin auf das Auswahlverfahren. Alfred Bauer wünschte sich die Möglichkeit, Filme frühzeitig zu sichten, um auf die Filmauswahl der Länder Einfluss nehmen zu können. Eine Erhöhung des Reiseetats war unter den gegeben Budgetbedingungen jedoch nicht in Sicht. Die Qualität der gezeigten Filme wurde allerdings von den meisten Kritikern als so desaströs empfunden, dass man sie sich mit Etatproblemen alleine nicht erklären wollte. Allein John Schlesingers A Kind of Loving, Francesco Rosis Salvatore Giuliano und Ingmar Bergman Samson i en Spegel gaben den Kommentatoren das Gefühl, etwas von bleibendem Wert gesehen zu haben.
Zwar spiegelte die dürftige Qualität des Programms wohl weitgehend die Krisensituation des internationalen Filmschaffens wider, von den Zeitgenossen wurde jedoch auch die Kompetenz des Auswahlgremiums in Frage gestellt. „Entscheidend ist nicht nur, dass die Mitarbeiter reisen können, sondern vor allem, wer reist“, schrieb Manfred Delling in einem Artikel in der Welt und der Kritiker Friedrich Luft forderte sogar den Verzicht auf den A-Status, in dem er eher eine Last als einen Vorteil sah. Dass Argument, der A-Status stelle die Filmauswahl unter ungebührliche Zwänge, wurde in den Folgejahren immer wieder in die Debatte geworfen. Weder der Senat und schon gar nicht Alfred Bauer waren jedoch dazu bereit, auf das mühsam erkämpfte „Gütesiegel“ zu verzichten.