Vorboten des Kommenden
Für die Zeitgenossen war die Berlinale 1960 ein schwaches Festival, ein „Arbeitstreffen“ mit wenig Glanz, ausgerechnet im Jubiläumsjahr. Rückblickend jedoch gab es 1960 die ersten deutlichen Anzeichen für einen inhaltlichen Umbruch, der jedoch nur zum Teil bewusst initiiert war. Vor allem spiegelten die Inkonsistenzen des Programms und die Uneinigkeit der Kommentatoren eine inhaltliche Kluft wider, die sich im internationalen Filmschaffen abzeichnete: zwischen dem traditionellen Studiokino, von dem die großen Festivals bislang gelebt hatten, und den unabhängigen und irritierenden Filmen der jungen Generation. Die Krise war sowohl eine ästhetische, als auch ein ökonomische und politische. Es ging nicht nur um die Frage, welche Filme man machen wollte, sondern auch darum, unter welchen Bedingungen man Filme machen wollte und dass das eine vom anderen nicht zu trennen sei.
Die Zukunft oder das Ende?
Aus dieser Krise heraus entwickelte sich während der sechziger Jahre allerorten ein neues, unabhängiges Kino: die Nouvelle Vague, das Free Cinema, das Cinema Nuovo und spätestens seit dem „Oberhausener Manifest“ auch der Neue Deutsche Film. „Papas Kino ist tot“ hieß es ein paar Jahre später. Dann hätte 1960 also gerade das „Sterben“ eingesetzt und tatsächlich fürchteten einige Kommentatoren das Ende der Berlinale, manche sogar Schlimmeres. Denn „Papas Kino“ war ja das Kino der großen Studios, Filme mit großen Stars für ein großes Publikum, mit denen auch die großen Festivals ihre goldenen Jahre erlebt hatten. Selbst die scharfsinnige Berlinale-Beobachterin Karena Niehoff wusste 1960 nicht, wie sie dran war: Wurde es nun endlich ernst oder war das der Anfang vom Ende?