2003

53. Internationale Filmfestspiele Berlin

06. – 16. Februar 2003

„Ich bin ein Teil von Old Europe.“ – Anouk Aimée, der die Hommage gewidmet war und die für ihr Lebenswerk mit einem Ehrenbären ausgezeichnet wurde.

Anouk Aimée

Anouk Aimée mit dem Goldenen Ehrenbären

Berlinale unter den Vorzeichen des Golfkriegs

Die Berlinale 2003 stand ganz im Zeichen des zweiten Golfkriegs, der unmittelbar bevorstand und das politische Tagesgeschehen bestimmte. Schlagworte wie die „Achse des Bösen“ und das „alte Europa“ waren in diesen Tagen in aller Munde. Vor allem die US-amerikanischen Stargäste nutzten die Berlinale, um öffentlich ihr Missfallen über die Politik von George Bush und seinen Verbündeten zu bekunden. Spike Lee, Martin Scorsese, Spike Jonze und Oliver Stone fanden deutliche und harte Worte und stießen damit auf Sympathie bei der Presse und beim Publikum.

Im Foyer des Festivalkinos Cinemaxx hatten Medienaktivisten eine Speakers-Corner eingerichtet, wo man seine Meinung zur Irak-Krise einer Kamera anvertrauen konnte und der Tag der Preisverleihungen war begleitet von der größten Friedensdemonstration, die Berlin seit dem ersten Golfkrieg erlebt hatte und deren friedlicher Protest bis in die Festivallounges am Potsdamer Platz zu hören war. Den meist beachteten Auftritt hatte schließlich Dustin Hoffman, der mit dem Film Moonlight Mile (im Panorama) zur Berlinale gekommen war. Überraschend trat er auf einem Empfang im Konzerthaus ans Rednerpult und machte klar, dass man kein Anti-Amerikaner sein müsse, um gegen die Politik der Bush-Administration zu sein.

Die amerikanische Presse schenkte dem Auftritt der Hollywood-Stars große Aufmerksamkeit und verbuchte die Berlinale 2003 als Beleg dafür, wie fest das Festival in der politischen Kultur von „Old Europe“ verankert ist - was nicht bei jedem als Kompliment gemeint war. „Ich bin ein Teil von Old Europe“, bekannte Anouk Aimée, die für ihr Lebenswerk mit dem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnet wurde. Das war als Kompliment gemeint, Old Europe durfte sich freuen.

Kim Tae-Jin (Dong Sung)

Star des Kinderfilmfestes: Kim Tae-Jin (Dong Sung)

Politische Brisanz und eine neue Ernsthaftigkeit

Wer weiß, was gewesen wäre, wenn Fidel Castro Oliver Stones Einladung gefolgt wäre und zur Premiere von Comandante auf der Bühne des Panorama gestanden hätte. Doch das schien mehr Politik, als das Festival hätte vertragen können und nicht nur die Security Guards werden aufgeatmet haben, als der „Comandante“ seinen Besuch aus Rücksichtnahme auf Bundeskanzler Schröder absagte. Oliver Stones respektvolles Porträt des alternden Revolutionsführers wurde auch so zu einem der meist beachteten Panorama-Filme. Viele Filme erhielten durch das politisch aufgeladene Klima eine zusätzliche Brisanz. Auffallend war die Bereitschaft, sich mit „unbequemen Wahrheiten“ auseinander zu setzen, die in der Unterhaltungsindustrie nicht selten als „Spielverderber“-Themen gelten. Nicht nur im Forum und im Panorama, auch in den Filmen des Wettbewerbs ging es um Migration und Flucht, um die wachsende Ungleichheit in der Verteilung des Wohlstands, um Zukunftsangst, aber auch um den Tod und die Frage nach einem würdigen Sterben. Patrice Chereaus Son frère, Isabel Coixets My Life without me, Hans-Christian Schmids Lichter und der Kritiker-Favorit The Hours von Stephen Daldry waren Filme, die auf sehr verschiedene Art eine neue Ernsthaftigkeit ins Kino brachten.

„Das Recht auf Einmischung“

Der Wettbewerb der Berlinale 2003 wurde allgemein als der beste seit Jahren beurteilt und die Presse zollte dem Festival Anerkennung, weil es sich der schwierigen Aufgabe gewachsen zeigte, Entertainment und Politik, Festivalfreude und zeitpolitische Wachsamkeit unter einen Hut zu bekommen. Obwohl viele Michael Winterbottoms Flüchtlingsodyssee In this World nicht für den besten Beitrag im Wettbewerb hielten, wurde die Jury um Atom Egoyan für ihre Entscheidung beglückwünscht, ihn mit dem Goldenen Bären auszuzeichnen – und es wurde dabei auch nicht übersehen, wie gut der Titel des Films sich als Motto eignete: In dieser Welt, in der wir alle leben. Ein würdiger Hauptpreis auf einem Festival, das von den politischen Tagesereignissen auf dem richtigen Fuß erwischt wurde. In der Berliner Zeitung schrieb Anke Westphal in ihrem Fazit: „Mit dieser Berlinale hat die aktuelle Filmkunst nicht nur ihr Recht auf Einmischung, auf Kommentar in Anspruch genommen, sie hat jenseits der allgegenwärtigen Krankheitsmetaphern auch den Versuch unternommen zu erkennen, was den Menschen dieser Tage ausmacht.“

Wieland Speck, Dieter Kosslick, Minnie Driver

Wieland Speck, Dieter Kosslick, Minnie Driver (Owning Mahony)

Dieter Kosslick setzte auf dieser, seiner zweiten Berlinale die Wegmarken für seine künftige Festivalpolitik: Das Wettbewerbsprogramm bekannte Farbe mit einem deutlich zeitgenössischen Profil, das Festivalmotto „Towards Tolerance“ blieb nicht im luftleeren Raum, sondern wurde durch die Filme mit Inhalt gefüllt. Das deutsche Kino war mit insgesamt 60 Filmen im Festival noch stärker vertreten als im Vorjahr. Mit Good Bye Lenin!, Lichter und Der alte Affe Angst gab es drei deutsche Filme im Wettbewerb, die Vorführungen der Sektion Perspektive Deutsches Kino platzten schon im zweiten Jahr aus allen Nähten und viele deutsche Filme waren Publikumsrenner und fanden auf dem European Film Market Verleiher.

Startschuss für den Talent Campus

Und last but not least brachte die Berlinale 2003 auch das Debüt des Berlinale Talent Campus, einer gemeinsamen Initiative mit dem Medienboard Berlin-Brandenburg, gefördert von über 50 Partnern aus Kultur und Wirtschaft. 500 junge Talente aus allen Bereichen des Filmschaffens und aus der ganzen Welt wurden eingeladen, um mit erfahrenen Filmemachern in Workshops, Lectures und Exkursionen professionelles Handwerk zu lernen und ihre Ideen zu diskutieren. Der Talent Campus stieß bei allen Beteiligten und auch bei der internationalen Presse auf ein großes Echo und wurde als der innovative Impuls bewertet, als der er gedacht war. Die Berlinale 2003 war eine Feuerprobe für Dieter Kosslick und sein Team. Das Gros der Kommentatoren war sich einig, dass sie mit Bravour bestanden wurde.