1981

31. Internationale Filmfestspiele Berlin

13. – 24. Februar 1981

„Typische deutsche Scheiße, ist man versucht zu sagen. Habt ihr keine Zeit, keinen Ort gehabt, um das vorher zu diskutieren, eure Widersprüche zu klären oder wenigstens zu formulieren? Ich frage ja nur. Denn dann wäre wirklich darüber zu sprechen gewesen. So bleibt nur der filmpolitische Dilettantismus sich beleidigt gebender Organisationen, die von ihren Emotionen quatschen, ohne ein diskutables Konzept vorlegen zu können… Das Unbehagen besteht meinerseits.“ – Wolfram Schütte in der „Frankfurter Rundschau“ an die Adresse deutscher Filmemacher, die Moritz de Hadeln „Dilettantismus“ und „Kontaktunfähigkeit“ vorwarfen und die Berlinale boykottieren wollten.

Martin Scorsese

Die Berlinale in der Krise oder der deutsche Film?

Moritz de Hadeln blies scharfer Gegenwind aus dem Inland ins Gesicht. Als Leiter des Festivals in Locarno hatte er wenig Kontakt zur deutschen Filmszene gehabt und kannte kaum einen Regisseur persönlich. Der neue Festivalleiter war vielen noch ein Fremder und es schien jeder darauf zu warten, dass der andere den ersten Schritt aufeinander zu tat. Verärgerung staute sich an, und als de Hadeln dann als einzigen deutschen Film Herbert Achternbuschs Der Neger Erwin für den Wettbewerb nominierte, wurde der schwelende Konflikt öffentlich. Die Arbeitsgemeinschaft deutscher Spielfilmproduzenten und der Bundesverband der Fernseh- und Filmregisseure warfen ihm „Dilettantismus und Kontaktunfähigkeit“ vor, forderten eine neue Festivalleitung und kündigten den Boykott der Berlinale an.

Die ungewöhnlich scharfe Polemik erstaunte die Beobachter und stieß auf Unverständnis. Nach erst einem Jahr unter de Hadelns Leitung schien die Kritik verfrüht, zudem erwies sich die Anti-de-Hadeln-Front auf Nachfrage als keineswegs so einig, wie es die Wortwahl hatte vermuten lassen: die Forderung nach einem „repräsentativen Festival“ mit konkretem Inhalt zu füllen, war keiner der Kritiker so recht in der Lage. Es wurden Positionspapiere angekündigt, die dann aber nicht kamen.

Moritz de Hadeln, Michel Piccoli

De Hadeln hatte seine Auswahlentscheidung mit der mangelnden Qualität der gesichteten Beiträge begründet und von einer „Krisensituation des deutschen Films“ gesprochen. Auf einer Pressekonferenz während des Festivals warf ihm Alexander Kluge stellvertretend für die Kritiker vor, sich zu sehr um die Interessen der amerikanischen Majors zu kümmern und darüber die Kontaktpflege zum deutschen Film zu vernachlässigen. Die Filmfestspiele befänden sich in einer schweren Krise, nicht der deutsche Film. Damit waren Fronten abgesteckt, die während de Hadelns über 20jähriger Amtszeit immer wieder aufbrechen sollten. Zunächst blieb als Ergebnis des Streits ein angeschlagener Festspielleiter, eine gewisse Ratlosigkeit über den Ausweg aus der Krise und die Hoffnung auf mehr Dialogbereitschaft von beiden Seiten: „Manchmal wünschte man sich in unserem Lande mehr Solidarität, die in anderen Ländern zwischen den Institutionen, die für die gleichen Ziele arbeiten, selbstverständlich ist“, schrieben Moritz de Hadeln und Ulrich Gregor in einer gemeinsamen Stellungnahme.

De Hadeln trifft geschickte Personalentscheidungen

Im Anschluss an das Festival forderte auch der Berliner Arbeitskreis Film noch einmal de Hadelns Rücktritt und die Produzentinnen Renée Gundelach und Regina Ziegler zogen sich aus dem Beirat zurück. Erst allmählich gewann inhaltlicher Pragmatismus die Oberhand. De Hadeln handelte geschickt, als er den Leiter der Hofer Filmtage, Heinz Badewitz - der bereits die Reihe Neue Deutsche Filme betreute - mit mehr Kompetenzen ausstattete. Badewitz wurde zum Kontaktmann zur bundesdeutschen Filmszene.

Eine wichtige personelle Veränderung war auch die Berufung von Gaby Sikorski zur Leiterin des Kinderfilmfestes. Als langjährige Mitarbeiterin von Manfred Salzgeber hatte Gaby Sikorski bereits im Kino Bali ein eigenständiges Kinderfilmprogramm aufgebaut. Mit ihrer Berufung reagierte Moritz de Hadeln auf die Forderung, das Kinderfilmfest zu einer eigenständigen Sektion aufzuwerten. Neu waren auch separate Pressevorführungen im Kinderfilmfest und eine Eröffnungspressekonferenz. In einem bemerkenswert internationalen Programm war einer der Publikumslieblinge Wolfgang Tumlers Der rote Strumpf mit Inge Meysel. „Kinder und alte Menschen haben sehr viel gemeinsam“, meinte die Hauptdarstellerin nach der Premiere. „Ihre Sprache ähnelt einander. Und sie glauben noch oder schon wieder an Wunder.“ Aber die Wunder ließen auf sich warten.

Mrinal Sen, Markus Imhoof

„Auf der Suche nach der verscharrten Geschichte“

So beschrieb Wolfram Schütte den thematischen Schwerpunkt vieler Filme dieses Jahres. Agnieszka Hollands Goraczka | Fieber, Markus Imhoofs Das Boot ist voll – einer von mehreren Schweizer Filmen dieser Berlinale – und der iranische Dokumentarfilm Djostedju | Suche von Amir Naderi im Forum waren dafür Beispiele: „Sein mit Bild und Ton, mit Dokument und Imagination höchst kunstvoll umgehender Film ist Requiem und Beschwörung, Epitaph und Aufruf in einem“, lobte Schütte Naderis Film in den höchsten Tönen. Ähnlich hätte sich auch der Eindruck beschreiben lassen, den Andrej Tarkowskis Stalker hinterließ, der neben Godards Sauve qui peut (la vie) | Rette sich wer kann (das Leben) der meist beachtete Film des Forums war.

Die Retrospektive war in diesem Jahr dem türkischen Regisseur Yilmaz Güney gewidmet, der in der Türkei als politischer Gefangener, unter Mordanklage, inhaftiert war. Ungeklärte Konflikte, das Trostlose, das Katastrophische, die Traumata der jüngeren Geschichte standen am Beginn der Achtziger Jahre. Mitten in einem vagen Unbehagen, einer gewissen Ratlosigkeit vor der Zukunft erinnert der Auftritt Jean-Luc Godards bei der Pressekonferenz zu Sauve qui peut (la vie) | Rette sich wer kann (das Leben) an die Kraft des Films: „Redend hat da jemand den Eindruck vermittelt, was das immer noch sein könnte: Kino, und was das einmal war. Was es heißt ein Bewusstsein zu haben von der Arbeit eines Regisseurs: dem Umgang mit Bildern und Tönen. Und wie beide zueinander in Beziehung stehen“, schrieb Norbert Jochum in der „Zeit“.