2022 | Hommage
Isabelle Huppert
Die französische Film- und Theaterschauspielerin Isabelle Huppert erhielt bei den 72. Internationalen Filmfestspielen Berlin den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk und ihr war die Hommage 2022 gewidmet.
Im Rahmen der Preisverleihung am 15. Februar 2022 wurde im Berlinale Palast der Film À propos de Joan (Regie: Laurent Larivière) vorgeführt.
Biografie Isabelle Huppert
„Die Leute denken, dass beim Drehen eines Films der Regisseur den Darstellenden hilft, eine Rolle zu spielen. Isabelle hilft dem Regisseur, den Film zu drehen.“
Dieses Zitat von Claude Chabrol beschreibt eine Schauspielerin, die ebenso eigenständig wie einzigartig ist: Isabelle Huppert – wandlungsfähig wie kaum eine andere und zugleich unverwechselbar. „Das Klischee, dass ein*e Schauspieler*in in die Haut eines anderen Menschen schlüpft, sollte man meines Erachtens auf den Müll werfen“, sagt sie über ihr Metier, „denn ich bin ich, und die Figur kommt wie ein Unfall.“
Isabelle Huppert wird in Paris geboren. Ihr Vater ist als Sicherheitsingenieur ein erfolgreicher Unternehmer, die Mutter Englischlehrerin und passionierte Klavierspielerin. Zu ihren fünf Geschwistern zählen der Schriftsteller und Essayist Rémi Huppert, die Roman- und Drehbuchautorin Elisabeth Huppert, die Soziologin und Professorin em. der HEC Paris Jacqueline Laufer sowie die Filmregisseurin und Drehbuchautorin Caroline Huppert, in deren Filmen Isabelle Huppert mehrfach mitgewirkt hat.
In Ville d’Avray wächst Isabelle Huppert auf. Sie besucht das Gymnasium im nahegelegenen Versailles und nimmt dort Schauspielunterricht am Konservatorium. In Paris studiert sie Schauspiel an der École Nationale Supérieure des Arts et Techniques du Théâtre (ENSATT) und am Conservatoire National Supérieur d’Art Dramatique (CNSAD). Ihre Lehrer sind Jean-Laurent Cochet und Antoine Vitez. Zugleich belegt sie Russisch am Institut national des langues et civilisations orientales („Langues O“).
Ihr Leinwanddebüt gibt Isabelle Huppert mit Faustine et le bel été (Regie: Nina Companéez) und findet bereits kurz darauf Anerkennung für ihre Darstellungen in den Kinofilmen César et Rosalie von Claude Sautet, Les valseuses von Bertrand Blier und Le juge et l’assassin von Bertrand Tavernier. Für die Titelrolle in Claude Gorettas La dentèlliere erhält sie in London den BAFTA Award als Vielversprechendste Newcomerin in einer Hauptrolle.
Mit Violette Nozière beginnt ihre langjährige Zusammenarbeit mit Regisseur Claude Chabrol. Für ihre intensive Darstellung der berühmten Straftäterin aus den 1920er-Jahren wird Isabelle Huppert bei den Filmfestspielen in Cannes mit der Silbernen Palme als Beste Darstellerin ausgezeichnet. Unter der Regie von Chabrol dreht sie unter anderem noch das historische Abtreibungsdrama Une affaire des femmes, die Krimiadaption La cérémonie und den Psychothriller Merci pour le chocolat.
Für Michael Ciminos avantgardistisches Westernepos Heaven’s Gate steht Isabelle Huppert erstmals in den USA vor der Kamera. Im Lauf der Zeit arbeitet sie auch mit den bedeutenden Hollywood-Regisseuren Otto Preminger (Rosebud), Joseph Losey (La truite), Curtis Hanson (The Bedroom Window), Hal Hartley (Amateur) und David O. Russell (I Heart Huckabees) zusammen. Doch vor allem zieht es Isabelle Huppert zu den engagiertesten und künstlerisch anspruchsvollsten Figuren des Autorenkinos – nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa.
Jean-Luc Godard engagiert sie in den 1980ern sofort – für Sauve qui peut (la vie) und Passion. Für anspruchsvolles französisches Kino stehen außerdem Regiegrößen wie André Téchiné, Maurice Pialat, Patrice Chéreau, Jacques Doillon, Claire Denis und Olivier Assayas.
Als einer von vielen international herausragenden Erfolgen gestaltet sich Isabelle Hupperts Auftritt im Krimimusical 8 femmes von François Ozon, für das sie gemeinsam mit ihren sieben Partnerinnen einen Silbernen Bären bei der Berlinale sowie den Europäischen Filmpreis erhält. Bei der Berlinale feiern außerdem Premiere L’Avenir von Mia Hansen-Løve sowie dieses Jahr die aktuelle französisch-deutsche Ko-Produktion À propos de Joan von Laurent Larivière.
Den Weg ins europäische Kino eröffnen Isabelle Huppert zu Beginn italienische Filmemacher wie Mauro Bolognini (La storia vera della signora delle camelie), Marco Ferreri (Storia di piera), Ronald Chammah (Milan noir) und die Gebrüder Taviani (Le affinità elettive). Es folgen Zusammenarbeiten mit osteuropäischen Regisseur*innen wie Márta Mészáros (Örökség) und Andrzej Wajda (Biesy).
Unter den deutschsprachigen Regisseur*innen ist es Werner Schroeter, der Isabelle Huppert für sich entdeckt: Für ihre Hauptrolle in Malina wird sie als Beste Darstellerin mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Das Drehbuch nach einem Roman von Ingeborg Bachmann stammt aus der Feder von Schriftstellerin Elfriede Jelinek. Eine besonders erfolgreiche Arbeitsbeziehung ergibt sich für Isabelle Huppert mit dem österreichischen Regisseur Michael Haneke. Für ihre außerordentliche Darstellung in seiner provokanten Jelinek-Adaption La Pianiste wird Isabelle Huppert in Cannes zum zweiten Mal mit dem Preis für die Beste Darstellerin, dann auch mit dem Europäischen Filmpreis geehrt. Weitere Rollen übernimmt sie in den deutsch-französischen Haneke-Filmen Le temps du loup, Amour und Happy End.
Nach Filmen mit dem jungen Norweger Joachim Trier (Louder Than Bombs) und dem Iren Neil Jordan (Greta) ist es der Niederländer Paul Verhoeven, der Isabelle Huppert den Rahmen für eine weitere preiswürdige Darstellung bietet: Für ihre Rolle in seinem Rachedrama Elle erhält sie neben ihrem zweiten César (für den sie insgesamt 16-mal und damit häufiger als jede andere Schauspielerin nominiert worden ist) auch den Golden Globe Award als Beste Hauptdarstellerin (Drama) und darüber hinaus ihre erste Nominierung bei den Academy Awards. „Ich sehe meinen Beruf als eine innere Expedition, an deren Ende man, wenn man Glück hat, den anderen erreicht“, kommentiert sie ihre Arbeit.
Dem Theater ist Isabelle Huppert seit ihrem Bühnendebüt als Komparsin in einer Molière-Inszenierung der Comédie-Française immer treu geblieben. Hier spielte sie u. a. unter der Regie von Peter Zadek und Bob Wilson, Yasmina Reza und Luc Bondy, Krzysztof Warlikowski sowie Ivo van Hove. Sie ist mit der Rockpoetin Patti Smith aufgetreten und hat Lesungen und Musik aufgenommen, darunter mit dem französischen Rockmusiker Jean-Louis Murat das Album „Madame Deshoulières“ nach Gedichten von Antoinette Deshoulières (1638–1694). Sie betätigt sich zudem als Filmproduzentin und Kunstkuratorin.
Neben zahlreichen Filmpreisen erhielt Isabelle Huppert auch den Europäischen Theaterpreis und den Ehrenpreis für ihr Lebenswerk beim Französischen Theaterpreis Molière. Sie ist Officière de la Légion d’honneur, Commandeur de l'ordre des arts et des lettres und Trägerin des Ordre national du Mérite.
Isabelle Huppert hat drei Kinder. Ihre Tochter Lolita Chammah ist Schauspielerin und hat bereits als Kind in den Filmen ihrer Mutter mitgewirkt.
Filmografie (Auszug)
Les valseuses (Die Ausgebufften) / 1974, R: Bertrand Blier
Le juge et l'assassin (Der Richter und der Mörder) / 1976, R: Bertrand Tavernier
La dentellière (Die Spitzenklöpplerin) / 1977, R: Claude Goretta
Violette Nozière / 1978, R: Claude Chabrol
Les sœurs Brontë (Die Schwestern Brontë) / 1979, R: André Téchiné
Sauve qui peut (la vie) (Rette sich, wer kann (das Leben)) / 1980, R: Jean-Luc Godard
Heaven’s Gate (Heaven’s Gate – Das Tor zum Himmel) / 1980, R: Michael Cimino
Loulou (Der Loulou) / 1980, R: Maurice Pialat
La storia vera della signora delle camelie (La dame aux camelias | Die Kameliendame) / 1981, R: Mauro Bolognini
Une affaire de femmes (Eine Frauensache) / 1988, R: Claude Chabrol
Malina / 1991, R: Werner Schroeter
Madame Bovary / 1991, R: Claude Chabrol
Amateur / 1994, R: Hal Hartley
La cérémonie (Biester) / 1995, R: Claude Chabrol
L'École de la chair (Schule des Begehrens) / 1998, R: Benoît Jacquot
La Pianiste (Die Klavierspielerin) / 2001, R: Michael Haneke
8 femmes (8 Frauen) / 2002, R: François Ozon
I Heart Huckabees / 2004, R: David O. Russell
Gabrielle / 2005, R: Patrice Chéreau
L’Ivresse du pouvoir (Geheime Staatsaffären) / 2006, R: Claude Chabrol
L’Avenir (Alles was kommt) / 2016, R: Mia Hansen-Løve
Elle / 2016, R: Paul Verhoeven
Madame Hyde / 2017, R: Serge Bozon
La caméra de Claire (Claire’s Camera) / 2017, R: Hong Sang Soo